Dreimal Penny und zurück

Na, nicht ganz.

Aber ich hatte es mir heute früh schon vorgestellt.

Das Problem: Bei Penny gibt es gerade recht brauchbare Hemdenbügler zum halben Preis. Was an und für sich kein Problem ist. Das eigentliche Problem war, dass ich heute früh um kurz vor acht aus dem Haus sprang, um schnell einen solchen zu erwerben, weil der alte, sehr liebgewonnene, der in diesem Haushalt für genau zweiundzwanzig Monate wohnte, den Geist aufgegeben hatte. Natürlich hatte ich kurz zuvor die Rechnung von damals ins Altpapier gegeben, damit nicht so viele Bäume sterben müssen. Also nüscht mit Garantie.

Und dann stand ich heute bei Penny. Leere Regale! Wie damals, 2020, in der großen Klopapierkrise des Landes.

Eine Viertelstunde irrte ich durch den Laden, auch suchte ich noch Pistazienbrotaufstrich (sollte es laut Auskunft des Werbeprospekts geben, war aber ebenfalls nicht vorrätig), bis mir einfiel, dass ich ja pünktlich um neun vor der nächsten Videokonferenz sitzen sollte.

Ich fragte kurzerhand eine Dame, auf der zumindest Penny draufstand. Aber sie floh. Immerhin mit den Worten: Ich weiß es auch nicht, keine Filiale hat heute ihre Aktionsware erhalten. Und ich weiß auch nicht, ob und wann wie viel davon kommt. Ich kaufte Ziegenkäse. Auch im Sonderangebot, und den habe ich immerhin gefunden. Entnahm ich ihrem Kondensstreifen.

Etwas unzufrieden rannte ich wieder nach Hause. Und stellte mir auf dem Weg vor, wie ich nach der Videokonferenz einen zweiten Versuch wagen würde. Und weil ich mir dabei auch sehr gut vorstellen konnte, dass dieser ebenso wenig fruchten könnte wie der erste, stellte ich mir eine Wiederholung der Prozedur am Abend vor.

Nun war die Videokonferenz netterweise um zehn erledigt, aber es sollte noch weitere vier Stunden dauern, bis ich mich erneut auf die Socken machte. Weil mein Bauchgefühl mich dazu zwang.

Leere Regale. Und an meinem Ohr meine liebe Kollegin Ruslana, die mich zur Begrüßung fragte, ob ich schon angezogen bin.

Also, erstens arbeite ich nicht nackt, zweitens bin ich schon bei Penny. Und soll ich Dir mal was sagen? Leere Regale, wohin das Auge reicht.

Sie kannte meinen Plan ja schon. Und empfahl mir etwas ganz Innovatives. Ich solle das Ding doch einfach online bestellen. Also, erstens kenne ich Onlineshopping schon, ich habe das sogar schonmal gemacht, und zweitens wollte ich genau das ja vermeiden. Wenn ich nämlich schon fünfzig Euro Preisnachlass erhalte, mache ich mir den doch nicht mit den Versandkosten zunichte. Dafür bin ich zu ressourcenorientiert. Oder zu geizig, wie böse Zungen behaupten würden.

Und ganz abgesehen davon gibt es das Teil auch online nicht. Wahrscheinlich steht es im Stau vor dem Suezkanal. Nur weil der Steuermann unbedingt einen Penis mit der Schiffsschraube zeichnen wollte. Haben die Nachrichten neulich erzählt. Und das Gekritzel auf dem Kanalgrund gezeigt. Also, ich habe da sehr viel gesehen, aber ein Penis war das nicht. Seit wann sind Penisse kugelrund? Oder war das nur eine künstlerisch sehr wertvolle Perspektive, die der Steuermann da gewählt hatte?

Ordinär, wie angekündigt, war es jedenfalls nicht.

Und ich war auch kein drittes Mal an diesem Tage bei Penny. Ich brauche erstmal achtundvierzig Stunden Pause von dem Laden. Wobei, nee, verrechnet, ich brauche zweiundsiebzig. Freitag ist ja zu, und heute ist auch erst Mittwoch. Aber ich habe den ganzen Tag schon das Gefühl, es wäre Donnerstag. Das könnte daran liegen, dass ich eine enorme Sehnsucht nach dem Wochenende verspüre, oder auch an der Zeitumstellung letzten Sonntag.

Nach der Rechnung müsste ich zwar mental noch bei Dienstag sein, aber wenn ich Jetlag habe, ist in meinem Kopf alles möglich.

Wenn man davon leben könnte…

Hach, war das ein Montag. Wie er im Buche steht.

Alles fing damit an, dass es T-Shirts bei Aldi gab. Ja, ich weiß, andere Geschäfte haben sowas zuweilen auch im Sortiment, aber ich gehe ja in keine anderen Geschäfte mehr. Terminshopping finde ich zwar an und für sich sehr schön, aber solange die Verkäuferinnen noch viele andere Sozialkontakte außer mir haben, sehe ich die Notwendigkeit für mich gar nicht. Zumal ich ja, wie man weiß und wie ich oft mit Stolz betone, vom Dorf komme. Ergo: Wenn ich schon einen Termin vereinbart habe, denke ich, dass ich schief angesehen werde, wenn ich dann doch nichts kaufe. Und dass ich dann gleich im ganzen Dorf geächtet wäre.

Also, Aldi. Ich stürmte gleich früh um kurz nach acht aus dem Haus, weil die Aktionsflächen erfahrungsgemäß am Nachmittag schon wieder leer sein können.

Meine Erfahrungen decken sich mit den heutigen Beobachtungen. Denn genau an der Stelle, an der die T-Shirts lagen, stapelten sich auch kluge Hausfrauen, die die Auslagen durchwühlten. Schnell griff ich durch zwei von ihnen hindurch, raffte zweimal M und machte mich, mit einem Weißkohl sowie etwas Geflügelhackfleisch bewaffnet, von dannen. Nüsse waren auch reduziert, und schon hatte ich dreiundzwanzig Euro zusammen, um die ich mein Konto zu schmälern gedachte.

Meinen Nachbarn habe ich bei dieser Gelegenheit auch getroffen, also, den von direkt nebenan, und er fragte, ob er sich gegen eine monatliche Zahlung in mein WLAN einklinken dürfe.

Zu Hause angekommen, warf ich ein T-Shirt über meinen gestählten Luxuskörper. Das Material ist echt supertoll.

Nur leider sind die Dinger viel zu groß geschnitten. Wenn die nämlich jetzt schon an mir herunterhängen wie ein Sack, wird das nach zweimaligem Tragen nur noch schlimmer werden.

Diesen ersten Frustpunkt überwand ich im Grunde nur, weil Punkt neun Uhr das erste Telefon klingelte. Claudia. Die berichtete, was ich soeben selbst gesehen hatte, nämlich, dass unsere Personalsachbearbeitungsvertretung heute krank ist. Da ich mit einem Großteil meiner Gehirnzellen noch halb im Wochenende steckte, begriff ich erst den Ernst der Lage nicht. Sie sollte heute ihren Präsenztag machen, jetzt konnte sie wegen Krankheit nicht ins Büro und musste entsprechend vertreten werden.

Tja, schade, Claudia und ich hatten keine Zeit, denn uns bestand die erste Videokonferenz der Woche bevor. In dem Moment rief Anne mich auf dem Handy an, um mir mitzuteilen, dass sie jetzt anderthalb Stunden ins Büro fährt, um die Präsenz zu übernehmen. Unser Chef hat noch gesagt, dass es doch nicht so schlimm wäre, wenn das Büro mal einen Tag nicht besetzt ist.

Daran habe ich dann erkannt, dass ich Recht hatte. Als ich letzte Woche zu meinem Chef, der meinte, ich würde die Post doch einfach nur aufmachen, sagte, dass er ja gar keine Ahnung hat. Er hat wirklich keine. Er glaubt wirklich, dass wir die Briefe einfach nur aufmachen und in Fächer verteilen. Aber nein, wir machen die Briefe auf, ja, aber dann müssen die zugeordnet, gegebenenfalls gescannt und weitergeleitet, viele zuvor gestempelt und beschriftet werden, und das dauert dann ach insgesamt wirklich den ganzen Tag, weil bisher kein einziger Mensch auf Anhieb alles richtig machen konnte. Wir werden also dem Chef doch nochmal zeigen müssen, wie bei uns gearbeitet wird. Der Chefin auch, denn die macht sich da offensichtlich dieselbe Milchmädchenrechnung auf.

Na ja, dafür war dann unsere Videokonferenz rekordverdächtig. Rekordverdächtig kurz nämlich. Fünfzehn Minuten, und alles war gesagt. Wir verabschiedeten uns, und ich überlegte ernsthaft, diese gewonnene Zeit für das Aufsuchen eines weniger frequentierten Aldimarktes wegen des Erwerbs der Größe S zu nutzen. Es wurde jedoch erstmal nichts daraus, weil sich alle meine Telefone bis zum Mittag gegenseitig die Klinke in die Hand gaben.

Freundlicherweise erwog ich auch, mir die Telefonzentrale aufs Handy zu holen, solange Anne im Stau steckte. Dies scheiterte allerdings daran, dass ich mich nicht in die Anlage einloggen konnte, weil ich eine falsche Adresse in der Anleitung hatte. Und weil ich ums Verrecken nicht deswegen den Elektrolurch anrufen wollte, rief ich Claudia an, um mein diesbezügliches Leid zu klagen. Unter anderem auch, warum ich den Elektrolurch nicht anrufen will. Sie war entsetzt. Aber egal.

Der nächste Teilnehmer auf meiner Liste war erfreulicherweise Hannes. Er hatte mir eine Tabelle per Email geschickt. Im Betreff stand November, der Anhang hörte auf den Namen August, enthalten war der September und gebraucht hätte ich alles bis Dezember. Beziehungsweise ich gar nicht, sondern die Buchhaltung, aber das stört Hannes nicht so, der spricht halt am liebsten mit mir. Obwohl er heute festgestellt hat, dass er excelmäßig so tief in meiner Schuld steht, dass er sich eigentlich eine Woche unbezahlten Urlaub nehmen und zum Beispiel meine Wohnung renovieren müsste. (Aber ich habe gerade den Mörser ganz oben auf dem Küchenregal in der Hand gehabt – ich muss erst richtig, richtig saubermachen.)

Am Ende haben wir das Problem dann aber gelöst. Er hatte keine Ahnung, wie der Anhang, den er mir schickte, überhaupt an die Email rangekommen ist oder wo die restlichen zwei Mails, die er mir geschickt haben wollte, abgeblieben sind. Ein wesentlicher Bestandteil der Problemlösung war allerdings, dass ich mich in sein privates Emailfach einloggte und mir die Tabellen aus seiner Cloud einfach selbst zuschickte.

Dann nur noch alles zusammenführen und den Formelfehler, der wieder für Millionen Arbeitsstunden in den ersten beiden Quartalen sorgte, finden, und schon wäre ich fast im Feierabend gewesen, wenn Claudia mir nicht einen entscheidenden Hinweis gegeben hätte. Ein Hinweis, der das Leben meiner Kollegin Anne heute extrem erleichtert hätte. Aber Anne war schon auf dem Heimweg und verriet mir ihrerseits, dass diese Aufgabe gerade beim Chef liegt. Also rief ich den auch noch an, um ihm die Freude zu machen.

Niemand kann heute sagen, dass ich mich nicht bemüht habe.

In der Mittagspause allerdings auch. Denn da reiste ich tatsächlich zum übernächsten Aldi. Es gab keine S. Nur noch in Hellblau. Nicht meine Farbe. Wobei… in einer Tasche zusammen mit einem Dreihundertgrammpaket Blaubeeren hätte doch was Schönes daraus werden können. Denn die Blaubeeren habe ich gleich mitgenommen. Stellte die Verpackung ganz ordentlich auf den Boden meines Rucksacks und wollte nach Hause.

Wo ich auch schnell wieder gewesen wäre, wenn mich nicht an der Haltestelle meiner Straßenbahn der spontane Gedanke heimgesucht hätte, ob ich nicht doch nochmal zum ersten Aldi des Tages fahren sollte. Papier war ja auch alle, ich musste sowieso in die Richtung.

Eine Packung hatten sie noch da. Eine Packung supertolle, weiche Baumwolle in meiner Größe. Und Paprikaschoten. In der Zwischenzeit waren die Blaubeeren im Rucksack natürlich aufgegangen und hatten sich am Boden verteilt. Aber ich habe wieder was anzuziehen. Mit meinen neuen Rockmodellen brauche ich es obenrum halt etwas enger. Wenn ich am Donnerstag mein neuestes Werk im Büro präsentiere, zum Beispiel.

Weil ich nämlich großen Teilen des Umfelds versprochen hatte, noch am Wochenende den Coronarock zur Ansicht zu schicken, musste ich  gestern auch tatsächlich an die Nähmaschine. Habe mich im Nachgang, als ich den letzten Faden abschnitt, erst gewundert, dass ich wirklich fünf Stunden dafür gebraucht haben sollte, aber dann fiel mir ein: Wenn man allein beim Kellerfalten abstecken sieben Versuche braucht, bis es an beiden Seiten aufgeht, ist das wirklich nicht verwunderlich.

Unter normalen Umständen hätte ich natürlich nur zwei gebraucht. Aber vielleicht gilt das nur für karierte Stoffe. Und das Coronavirus ist ja nicht eckig.

Aber es wäre schön, wenn es sich vielleicht überlegen würde, mal in diese Richtung zu mutieren. Denn das würde sich bestimmt schlechter einatmen lassen. Also mutiert das Virus wohl nicht zum Würfel, denn das wäre ja kontraproduktiv.

Ich freu mich trotzdem über meine neueste Schandtat, und wenn ich damit zur Impfung gehe, muss ich auch nicht lange warten, dann winkt man mich direkt durch. Sagt Hannes.

Ich bin gespannt. In etwa so wie vorhin, als ich vor meiner SOKO lag und noch fleißig mitüberlegte, wer das Schwein denn nun getötet hat. Nur dass mein Spannungsbogen ein wenig durchbrochen wurde, als Anne ein Foto schickte. Von meinen T-Shirts. Die in der Größe M will sie jetzt nämlich haben, während sie mir noch eine Schachtel der Abmessung S gesichert hat.

Super, jetzt habe ich also doch vier. Und werde die anderen vier gleich wieder los. Ich liebe diese Tauschgeschäfte im Büro.

Wenn man davon leben könnte, würde ich nur noch das machen.

Die Zeiten sind vorbei

Ja, so sehe ich das auch.

Trotzdem ist es für mich schöner, wenn ich mich diesen Satz selbst sagen höre.

Habe ich aber nicht, und seitdem rotiert das schöne Motto Was stört ´n das ´n Baum, wenn sich ´ne Sau dran kratzt? wie ein Mantra durch meinen Kopf. Unschön unterbrochen natürlich von Die Zeiten sind vorbei.

Und eigentlich hatte ich mich auch schon längst wieder beruhigt, aber ich habe heute Heidi in einem unserer drei Telefonate des Tages davon erzählt. Davon, dass ich gestern versehentlich den Elektrolurch am Telefon hatte. Zuerst ging es noch, da hat er noch gefragt, wie es mir geht, und ich erzählte ganz beseelt von dem Moment am Tage davor, in dem mich eine Kollegin auf zarte siebenunddreißig geschätzt hat (ich mochte sie schon immer), da fragte er noch ganz entsetzt Was, sooo alt?!

So ein Blödmann – siebenunddreißig ist doch super!

Aber wie das Gehirn des Lurches nunmal aufgebaut ist, hat er diese kleine Charmeoffensive, die er so mühsam mit den Händen aufgebaut hat, kurz darauf gleich wieder mit dem Arsch eingerissen. Als ich nämlich recht unschlüssig war, wie ich die Unterhaltung nun schnell wieder beenden könnte, sagte der doch mitten ins Schweigen hinein Ich will jetzt kein längeres Gespräch mit Dir anfangen, die Zeiten sind vorbei.

Ich habe dann nur ja gesagt. Anstatt zum Beispiel Und Gott sagte Gottseidank… Und dann eben Tschüss.

Mitten im Satz. Irgendwas hat er zwar noch gesagt, aber da lag mein Finger schon recht deutlich auf der roten Taste.

Jedenfalls fand Heidi das ganz entsetzlich, schöner kann man einem Menschen ja fast nicht sagen, dass man fertig mit ihm ist. Und jetzt bin ich so stinksauer, dass es mir richtig gut geht damit. Ich bin hier, um mal bei meinem liebsten Gleichnis aus Zeile drei bis vier zu bleiben, für mich eindeutig der Baum. Zumal der Herr Kollege sich mir gegenüber ja benimmt, als hätte ich ihm was getan. Und nicht er mir. Aber ich bin die Irre. Klar! Also, auf die Diagnose kann ich echt verzichten.

Und überhaupt hatte ich bislang gar keine Zeit, mich abschließend darüber aufzuregen, weil ich gestern mein Paket verfolgen musste. Laut Auskunft im Internet habe ich nämlich eines entgegengenommen. Keine Ahnung, wie der Paketbote mir ein Paket in Friedrichshain übergeben konnte, wenn ich gleichzeitig in Schöneberg war. So lange Arme habe ich nicht. Und mein Kind teilte mir ebenfalls per WhatsApp mit, dass es sich nicht für mich ausgegeben hat.

Es stellte sich heraus, dass es mein Briefkasten war, der da mit mir verwechselt wurde.

Und dann packte ich die Ware aus, hielt sie vor mich hin und dachte Die passt aber definitiv!

Zog sie an.

Zu groß.

Um nicht zu sagen viel zu groß.

Oder ich habe Körpermasse eingebüßt, ohne es zu bemerken. Recht unentschlossen ging ich ins Bett, träumte davon, einen glitzernden Kuchen für Brunhilde zu backen, und stand wieder auf. Wenn ich nur vom Backen träume und nicht vom Essen, ist es kein Wunder, dass die Hosen schlackern.

Und es ist auch kein Wunder, wenn man mir einfach eine Größe größer einpackt, als ich bestellt hatte, wie ich heute dann noch feststellen musste.

Ja, und dann hatte ich einen sehr bewegten Morgen mit Internetshopping und meinem PayPalkonto. Ich habe jetzt alle Schritte an die hundertmal wiederholt, jedoch kam ich ums Verrecken nicht weiter. Vielmehr drehten PayPal und ich uns im Kreis. Tanzten einen Reigen durch den Vormittag. Nur, weil ich nicht mit meinen Begehrlichkeiten umgehen kann. Das taten wir so lange, bis sich jemand meiner erbarmte und mir das seine zur Verfügung stellte.

Danach war ich erstmal fertig mit der Welt.

Aber das bin ich dieser Tage ja ganz grundsätzlich.

Auch kein Wunder.

Wovon träumt der eigentlich nachts?

Mein Chef.

Rief er mich doch heute an und fragte, ob ich morgen schon was vorhabe.

Ja, habe ich. Ich werde an einem Tag zwei Superspreadingevents beiwohnen. Hin- und Rückfahrt zum und vom Irrenhaus. Da mache ich dann Präsenz. Das heißt, ich öffne die Post, sortiere sie, stemple, scanne… Klingt irgendwie harmlos, aber man kann sich damit schonmal den ganzen Tag beschäftigen.

Mein Chef aber will mit mir hundertfünfzig Briefe an hundertfünfzig Menschen rausschicken. Und dann sagte er noch, das mit dem Posteingang wäre doch kein Problem. Die machst Du doch einfach nur auf.

Ich dachte nur klar… aber dann hörte ich mich sagen Du hast ja überhaupt keine Ahnung.

Im firmeneigenen Newsletter hat er noch geschrieben, dass es der Präsenztag in sich hat, aber ich führe diese schriftliche Äußerung nicht auf irgendein Verständnis der Gesamtsituation zurück, weil er das offensichtlich aus meinem Videobeitrag von letztens geborgt hat. Trotzdem ist es natürlich etwas unverschämt, zum Chef zu sagen, dass er keine Ahnung hat. Das stimmt zwar erschreckend oft, aber das müssen die Chefs dieser Welt ja nicht unbedingt wissen.

Aber ich habe Feierabend. Ich habe keine Zeit, mich um die Seelenqual meines Oberbosses zu kümmern. Und sowieso klingelte heute ein Päckchen an meiner Tür. Weshalb mich der Anruf meines Chefs auch mitten in der Ausübung des Trendsports 2020 erwischte. Händewaschen.

Also, ich habe meinen Coronastoff vorgewaschen. Und in Tateinheit dann auch die Hände gleich mit. Sie müssten jetzt eigentlich total weich und kalkfrei sein. Weil da Essig im Wasser war, damit der Stoff schön weich wird.

Jedenfalls gut, dass morgen nichts im Fernseher kommt. Dann kann ich mich an das neue Modell machen. Und weiter überlegen, was aus dem Rest nur werden soll.

Aber vielleicht fällt mir das auch erst ein, wenn ich den Gedanken loslasse. Beim Silikonziehen am Wochenende zum Beispiel. Da muss ich nicht denken, nur drücken.

Und dann kann ich bestimmt gleich wieder viel besser denken.

Jetzt klingeln die hier schon Sturm

Mitten in der Videokonferenz.

Zumindest der Paketbote von heute. Was er tat, um ein Paket für den Nachbarn abzugeben. Weil ich beim ersten Mal aber nicht von meiner Videokonferenz aufstehen wollte, wiederholte er den Vorgang nochmal etwas nachdrücklicher. Und mein Kind nicht da! Denn es handelte sich bei der Warensendung natürlich um eine für den sogenannten Lieblingsnachbarn, dem ich seit einer Weile ganz gekonnt aus dem Weg gegangen bin, weil mir der Ausruf meines Kindes Dein Lieblingsnachbar kommt!, den ich mit einem Schschsch! im Bühnenflüstern nur noch schlimmer gemacht hatte.

Ich war eigentlich gestern ganz überrascht, dass ich mal für eine andere Bewohnerin dieses Hauses etwas annehmen durfte. Das teilte ich auch so meinem Nachbarn mit. Dass er ja gestern gar kein Paket bekommen hat. Hat er aber nicht verstanden. Wahrscheinlich kriegt der jeden Tag drei Sendungen und kann gar nicht verstehen, wieso ich die eine am Tag, die ich davon in Empfang nehme, derart kommentiere.

Na, sei´s drum. Er kam pünktlich nach Hause, ich habe pünktlich Feierabend gemacht. Und ich habe den Tag überlebt, das ist die Hauptsache. Es hat auch keine Kollegin mitten im Feierabend angerufen. Zeit, mich in aller Ruhe in Panik zu versetzen, weil nächste Woche Ostern ist. Denn nachdem es heute früh in der ersten Videokonferenz noch hieß, die Lebensmittelgeschäfte bleiben bis einschließlich Donnerstag geöffnet, ereilte mich im Laufe des Tages die Information, dass die nun doch alle zu haben werden, was mich vor eine gewissen mentale Herausforderung stellte, weil ich bisher nur ein paar Kaninchenkeulen am Lager habe, die nicht für vier Tage ohne Kaufladen reichen werden.

Diese Panik entsteht in der Regel aber nicht, weil ich nicht weiß, wie ich das ganze Zeug nach Hause kriegen soll, sondern weil ich dann ja zeitnah entscheiden muss, was ich essen will.

Also, ganz abgesehen davon, dass das eigentlich sowieso immer das Gleiche ist. Also kann ich genauso gut ein wenig Geflügel, Fisch und Gemüse einlagern und fertig. Ich weiß gar nicht, was mich an diesem Gedanken so stresst.

Jetzt muss ich nur noch daran denken, dass ich schnell wieder vergessen muss, dass ich heute massenhaft Schokolade gekauft habe. Sonst esse ich die womöglich noch. Auch zuckerfreie Schokolade beinhaltet einige wenige leere Kalorien, und damit will ich es nun nicht übertreiben. Ich übertreibe oft genug.

Wenn ich mir Gedanken mache. Oder Nudeln koche. Oder wenn dieses teuflische Internet mir irgendwelche Werbebanner einblendet.

Werbebanner, auf denen witzige Hosen zu sehen sind. Die ich mir natürlich mit dem Gedanken Oh, cool! sofort angucken muss. Eine Aktion, bei der ich gestern zum Beispiel feststellen musste, dass es das auch in der schönen Kombination aus Rot und Schwarz gibt. Und das alles wäre nicht passiert, wenn es besagtes rot-schwarzes Teil gleich in meiner Größe gegeben hätte. Gab es aber nicht, und so habe ich die vergangenen vierundzwanzig Stunden damit verbracht, etwas Ähnliches woanders zu finden, weil das plötzliche Bedürfnis durch diesen partiellen Mangel ins Unermessliche gewachsen war. Gab es zwar beispielsweise beim bösen Amazonriesen, aber dreißig Euro Versandkosten? Nee!

Nun gut, ich warte jetzt auf Freitag, also wie immer, denn da kommt dann mal für mich ein Paket.

Wahrscheinlich werde ich vor lauter Aufregung wieder nicht schlafen können, aber das kann ich ja sowieso nicht.

Was mache ich nur mit dem Rest?

Ich habe heute eine Rechnung erhalten. Von Traumbeere. Das ist der Lieferant mit dem Coronastoff, auf den ich so sehnsüchtig warte. Und ich überlege jetzt schon, für welchen gewitzten Zeitgenossen ich den Rest wozu verarbeiten werde.

Man muss sich ja auch mal mit seinen eigenen Freizeitaktivitäten auseinandersetzen. Nicht immer nur mit denen der anderen.

Aber immerhin hatte ich zwischen sechzehn Uhr fünfzehn und achtzehn Uhr zwanzig etwas Ruhe. Die ich teilweise auf einem Superspreadingevent verbrachte. Also, bei Aldi. Lebensmittel kaufen. Und Geschenkpapier mit Regenbogenmuster. Weil ich ja kein Geschenkpapier habe. Massenhaft habe ich! Aber alles für Weihnachten. Und ich bin gerade sehr beim Thema Regenbogen, da passt das schon. Muss ja auch meinen vernähten Rest aus dem Coronastoff irgendwie einpacken. Ich habe zwar nach wie vor keine Ahnung, was es werden wird, (wie sollte ich in den vergangenen fünf Minuten auch zu einer Idee gekommen sein – ich schreibe gerade) aber immerhin schon einen Plan, irgendwas zu machen. Für wen auch immer.

Aber ich kenne ja genug Leute. Deswegen war ich ja über die gut zweistündige Ruhephase auch fast ein wenig verwundert. Aber dann… ich lag gerade sehr gemütlich vor meiner SOKO, da piepste schon die Erste. Ob sie mich mal anrufen kann, sie müsste mir was erzählen.

Claudia. Vor lauter Spannung hätte ich zwar fast den Anschluss an meine Rentnersendung verpasst, aber ich hielt sie dennoch bis nach der Ausstrahlung hin. Nur, dass Claudia just in den Augenblick, in dem ich anrief, ihr Essen geliefert bekam. Ich habe dann in der Zwischenzeit bis zu ihrem neuerlichen Rückruf eine Zwiebel geschnitten und Jagdwurstwürfel gemeißelt.

Und eigentlich dachte ich, Claudia wollte mir erzählen, dass sie sich heute ganz großspurig von der Welt verabschiedet hatte, um zur Betriebsratssitzung zu gehen. Weil diese erst nächste Woche stattfindet, saß sie dann ziemlich allein im Zoomraum.

Aber das war es gar nicht: Sie hatte einfach nur vergessen, den Blumenstrauß für Kayra zu bestellen. Dafür brauchte sie jetzt meine Hilfe. Fleurop und Blume 2000 hatten heute nicht das passende Angebot, deshalb lockte sie mich zu einem Blumenlieferdienst, der auf den Namen FloraPrima hört.

FloraPrima finde ich persönlich ganz prima. In erster Linie ist das natürlich phonetisch begründet. Außerdem gibt es da sogar gratis passende Vasen zur Lieferung dazu. Ein Umstand, der mich sehr begeisterte und gleich gar nicht mehr loslassen wollte.

Weil man ja nie die passende Vase zur Hand hat, wenn man denn mal Blumen erhält. Was bei mir maximal zweimal im Jahr der Fall ist, und trotzdem habe ich nie das wirklich passende Gefäß. Was machen nur die Leute, die wöchentlich von ihren Liebsten einen frischen Strauß bekommen? Haben die einfach mehr Vasen als ich? Weil sie noch seltener ausmisten als ich, zum Beispiel? Was sie ja nicht tun müssen, weil sie jede Woche eine brauchen. Ich weiß es nicht. Obwohl ich so jemanden kenne.

Aber wie gesagt, kenne ich ja viele Leute. Mein Besuch vom Sonnabend, zum Beispiel, den kannte ich vorher auch schon.

Es war sehr interessant. Weil wir uns über unsere anderweitigen musikalischen Vorlieben ausgetauscht und so sehr viel Neues kennengelernt haben. Das Problem ist nur: Der anwesende Kollege kann sich keine Namen merken. Und mit der Aussprache des Englischen hat er es auch nicht so. Es war also teilweise ein wahres Rätselraten, welche Band er nun gerade meint. Death wird ja nicht wie Died ausgesprochen.

Aber mittlerweile weiß ich, was er meinte. Man muss halt ein bisschen probieren. Ich kenne ja auch jemanden, der ganze Sätze in einer Silbe runternuschelt, und den finde ich trotzdem ganz toll. War aber nicht der Besuch von Sonnabend. Leider. Wo der Nuschler doch direkt bei meiner Mutter durchgehen würde, weil er unter meine Altersschmerzgrenze fällt. Also, zumindest die, die meine Mutter festgelegt hat. Mir ist Alter ja nicht sooooo wichtig. Nur ein bisschen.

Aber erstmal bin ich ganz freudig erregt, dass ich Claudia beim Aussuchen eines Blumenstraußes so gut helfen konnte. Wobei ich ja das Modell Blütenglück gewählt hätte. Aber weil der Strauß nicht für mich war, haben wir uns gegenseitig von Ambiente überzeugt. Und dann noch anderthalb Stunden weiter getagt.

Zwischendurch rief Anne an.

Ich telefoniere! Schrieb ich ihr parallel per WhatsApp.

Das ist ja keine Erholung! Bemängelte sie, die sie am Abend um halb neun ein Foto meiner Mitschriften aus einem Teammeeting im Februar haben wollte, weil sie gerade das dazugehörige Protokoll, das ihr Sohn schreiben sollte, schrieb.

Zwei Minuten später rief noch Ruslana an. Sie wollte wahrscheinlich eine gemeinsame Zigarette zum Feierabend rauchen. Der bei mir zwar schon über vier Stunden zurücklag, aber das scheint Ruslana nicht so zu stören. Na ja… scheint… ich weiß zufällig ganz genau, dass es sie überhaupt nicht beeindruckt.

Denken die alle, ich habe in meiner Freizeit nichts zu tun?!

Ich habe Hobbys!

Claudia lasse ich mir geradeso noch gefallen, denn wir haben ja etwas Schönes gemacht, aber drei Kolleginnen nach acht Uhr abends ist echt eine Nummer zu viel. Beziehungsweise eigentlich zwei.

Und ich wundere mich, dass ich in der Woche nicht ordentlich schlafen kann. Sobald mir nämlich abends beim Einschlafen bewusst wird, dass ich am kommenden Tag arbeiten muss, klappt es überhaupt nicht mehr so gut mit der Nachtruhe. Am Wochenende geht es ja meistens, aber da stört mich auch meistens kein Wecker.

Allein dieses Geräusch – und es ist ganz egal, wie musikalisch hochwertig es auch ist – kann einem schon den ganzen Tag versauen. Und dann erst diese Unruhe, der Blutdruckanstieg, der Stress dahinter…

Im Grunde brauche ich das alles gar nicht.

Aber ich muss aufstehen, denn ich bin nicht mehr jung, und ich brauche das Geld.

Vom ZK genehmigt

Also, von zentralen Einkaufskomitee des Haushalts.

Weil ich nämlich die Schnauze voll hatte. Diesmal vom Klodeckel. Der nur noch an einer Schraube hält, die aber auch bei jedem Aufklappen eine neuerliche Lockerungsübung vollführt, so dass das Ding wie ein Lämmerschwanz wackelt. Seit Wochen denke ich schon über einen neuen Deckel nach. Jetzt habe ich einen gefunden, dem Kind, das gerade auf dem alten thronte, per WhatsApp zugeschickt, also, den Link, nicht den Deckel. Und das Kind hat die Spende an die Hilfsorganisation namens Amazon dann genehmigt. Während er sich zum zentralen Einkaufskomitee krönte. Zumindest als Teilnehmer dessen.

Gut, es hätte auch eine Mutter getan, die ich unterhalb der lockeren bestehenden Mutter festdrehen hätte können, aber ich habe gerade keine passende Mutter am Lager. Und deshalb eine Audienz beim Baumarkt beantragen? Um dann innerhalb eines Zeitfensters eine einzelne Mutter zu kaufen, war mir dann doch zu blöd. Auch wenn ich ganz genau weiß, dass man nicht bei Amazon einkaufen soll.

Laut meinem Besuch heute sollte ich nicht mal Google benutzen, sondern über Ecosia googeln. Das klingt schon überzeugend. Keine Werbung, keine Gebühren, und die pflanzen Bäume. Ich frage mich allerdings, wie das Ganze dann finanziert wird. Wahrscheinlich Fundraising. Was man auch ohne Suchfunktion machen könnte.

Also, ich habe heute alle Fragen des Lebens weiter brav gegoogelt. Obwohl der Besuch mir sehr vorbildlich beim Vernichten der gekauften Kekse behilflich war. Und als ich um halb zehn sagte, ich müsste noch was machen, ist er sofort aufgesprungen, hat nach dem Heimweg gefragt und ging. Ebenfalls sehr vorbildlich. Zu spät kam er auch, so dass ich jetzt vor lauter Langeweile ganz saubere Türrahmen habe. Was man eben so macht, wenn man jemanden erwartet. Die Türen putzen.

Sollte ich heute davon träumen, wäre das auch ein echter Fortschritt. Denn in der vergangenen Nacht hatte sich der vermeintliche Traummann als notorischer Fremdgänger erwiesen. Und sofort warf ich ihn raus. Sowas hole ich mir nicht nochmal ins Haus. Ich war auch ganz stolz, dass ich das gleich eingesehen hatte.

Denn mittlerweile weiß man ja, dass die romantische Vorstellung, dass ein Typ, der alles anspringt, was nicht bei drei auf dem Baum ist, sich nicht bewahrheitet. Eine Schlange häutet sich, aber sie bleibt eine Schlange. Also, ich brauche das nicht.

Und ich drücke mir die Daumen, dass ich das auch im Wachzustand bei der nächsten Eventualität gleichermaßen gut umsetzen würde. Eine Aussage, die ich jetzt mit Bedacht in den Konjunktiv gesetzt habe. Falls jemand fragt.

Ansonsten bin ich heilfroh, dass ich das Wochenende ohne Schmauchspuren erreicht habe. Mehr sage ich dazu nicht. Es wäre nur noch zu erwähnen: Wenn der Chef Urlaub hat, kann sich auch die Belegschaft mal erholen. Für Chefinnen gilt das natürlich auch.

Aber erst nächste Woche.

Sofort ab ins Bett

Also, eigentlich. Mir fehlt etwas Schlaf.

Der Puls beim Schlafengehen gestern hatte sich zwar ein wenig beruhigt, auch war der Hals zumindest soweit abgeschwollen, dass ich auf mein Kissen passte, aber wenn man dann auch mitten in der Nacht aufwachen muss, um sich zu fragen, was das jetzt wieder sollte, ist es kein Wunder, wenn man am Morgen völlig zerstört aufwacht.

Ich habe nämlich – große Überraschung – etwas geträumt. Von Übernachtungsgästen. Dabei hatte ich auch im Traum noch gar nicht renoviert. Jedenfalls erwartete ich zwei Herren – einer davon definitiv nicht für die Gästecouch.

Was passierte? Um kurz nach acht erschien der andere alleine, zog sich sofort aus und setzte sich auf meine Couch. Ich zog mich auch erstmal aus. Mein liebes Kind trat hinzu, und ich sprach Der nackte Mann hier auf der Couch ist der Kai. Das Kind nahm es so gelassen als säße hier jede Woche ein neuer nackter Mann auf meinen Möbeln herum, und den Kai selbst fragte ich dann erstmal, wo sein Begleiter abgeblieben ist.

Ach, der ist direkt in der Kneipe auf seinem Stuhl eingeschlafen.

Ganz prima! Ich machte mir sofort Sorgen, aber der Kai beruhigte mich, denn sein Kompagnon wäre in guten Händen. Na, ich hoffe mal, nicht in zu guten Händen, denn die guten Hände sind ja wohl ganz eindeutig meine.

Statt auf die mittlerweile ausgeklappte Couch zu ziehen, legte er sich kurze Zeit später in mein Bett und versuchte, mich dazu zu bringen, mich dazuzulegen, und kniff mir in die rechte Backe. Aber wenigstens hat er sich auf eine Seite des Bettes gelegt und nicht genau in die Mitte, wie das jemand anderes immer gerne getan hat. (Wahrscheinlich, weil auf der hinteren, unteren Ecke eine zusammengefaltete Decke liegt, die die Beinfreiheit an dieser Stelle einschränkt und die man ja auch keineswegs bewegen kann, weil diese Decke eine Tonne wiegt.)

Ich legte mich nicht dazu.

Ich legte mich auf meine ausgeklappte Couch.

Mit doppeltem Bettzeug, denn ich war ja immer noch in freudiger Erwartung von Kais Kumpel. Kai auch, zumindest hielt er sein Telefon die ganze Zeit in heller Panik umklammert. Statt der Türklingel ertönte jedoch das Gebell eines braunen Hundes, der just in diesem Moment über meine Balkonbrüstung sprang.

Tja, und dann wachte ich auf. Etwas verwirrt. Wenn es einen Mann auf der Welt gibt, den ich nicht nackt in meinem Bett haben will, ist es Kai. Okay, viele andere auch nicht. Erstaunlich viele sogar, auch nicht die, die das nur zu gerne von sich denken, aber lassen wir das. Ich habe auch am Tage meine Kämpfe auszustehen.

Erst auf Arbeit, wo mir heute eine Kalkulation untergekommen ist, die darauf basiert, dass alle Monate im Jahr einunddreißig Tage haben, was vierstellige Differenzen hervorruft. Und ich soll das jetzt so einfach umsetzen. Tut mir leid, als Verwaltungsmitarbeiterin, Betriebsrätin und als Mensch kann ich so eine fahrlässige Geldverschwendung nicht einfach ignorieren. Aber ich habe noch keine Antwort darauf bekommen. Ich habe deswegen gerade extra nochmal in mein Dienstpostfach geguckt, was bei mir ja sonst immer sehr verpönt ist.

Aber wenn man überall Demokratie haben will, was will man machen? Das ist eben nichts für Leute, die immer nur die Klappe halten und nach der Pfeife eines einzelnen tanzen wollen. Ich tanze jedenfalls lieber nach der Musik, die ich mir selbst ausgesucht habe.

Und das gilt jetzt für alle Pfeifen.

Und für alle, die sich selbst nicht für Pfeifen halten, übrigens auch.

Kann ich das auch beim Tanzen erledigen?

Nicht? Na, dann mache ich es nicht.

Was auch immer. Ist egal. Und vor allem rein hypothetisch, wenn auch allumfassend. Die Dame hat nämlich schlechte Laune. Sie hadert. Im Wechsel mit sich und der Welt. Aber lassen wir das.

Immerhin haben wir heute einige Erfolge zu verzeichnen. Denn am Freitag kam ja meine liebe Leitung bei mir an und wollte alles anders machen. Das finde ich grundsätzlich nicht verkehrt, aber wenn da plötzlich jemand Buchungen ohne Beleg generieren und dazu völlig unübersichtliche, zusätzliche Listen erfinden will, dann kann ich da nicht mitgehen.

Habe ich ihr gleich gesagt.

Wer das sagt, wollte sie wissen.

Ich. Und die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung. Einer davon lautet Keine Buchung ohne Beleg. Falls mal jemand fragt. Um es kurz zu machen: Sie hat mir nicht geglaubt.

Deshalb habe ich heute vorab Claudia eingeweiht, und dann konnten wir das Ganze auch kurz und schmerzlos rein ideell in den Rundordner tun. Ich mache das jetzt weiter so, wie es richtig ist. Es kostet mich eine Viertelstunde im Monat. Die kann ich echt verschmerzen.

Und so hangelte ich mich durch den Tag, ein Telefongespräch löste das andere ab, plötzlich war Feierabend, ich rief, wie verabredet, Heidi an, die mir wieder mit großer Vehemenz an den entscheidenden Stellen mit ihren Theorien dazwischen quatschte. Es ist aber schwierig, etwas zu erklären, wenn man immer mitten im Satz mit Schlussfolgerungen unterbrochen wird.

Aber das kenne ich ja schon, das ist absolut modern. Vielleicht mache ich das auch und merke es nicht. Ich sollte mehr darauf achten, was ich eigentlich sage. Und wann. Bei manchen Leuten darf man ja beim Sprechen nicht mal Luft holen. Oder eine Pause zwischen zwei Themen machen. Entweder sie nehmen das als Aufforderung, sich sofort zu äußern, oder man wird per Regieanweisung aufgefordert, doch mal bitte weiterzusprechen.

Sei es drum, mein Tageshighlight war heute der Abschluss meines Einkaufs bei Netto. Da gehe ich sonst nur wegen des Birkenzuckers hin, aber als ich heute alles verstaut hatte, sah ich am Rand meines Brillenglases ein paar rote Dreadlocks unter einer Mütze hervorlugen.

Meine Brunhilde war auch bei Netto. Gestern haben wir uns erst per Videokonferenz gesehen. Und dann heute gleich nochmal live. Das war echt schön. Brunhilde versteht mich. Und meine Schmerzen mit der Welt. Während diejenigen, die meine Schmerzen überhaupt erst vorantreiben, ihre Hände in Unschuld waschen.

Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Ich bin auf hundertachtzig.

Weil ich aber keine Lust habe, das auszudiskutieren, weil das nämlich zu ernsthaften Änderungen in der personellen Besetzung meines Umfelds führen könnte, fahre ich jetzt alles runter. Schlaf aus der vergangenen Nacht muss ich auch noch nachholen.

Also, sobald sich der Puls beruhigt hat.

Hoher Blutdruck ist auch gar nicht so gesund.

Ich lebe in gefährlichen Zeiten

Weil meine Mutter eine neue Couch hat.

Und jetzt braucht sie natürlich Kissen dafür.

Na, da bin ich aber motiviert.

Also, wirklich.

Leider ist das sehr gefährlich, denn wann immer ich nach Geschenken suche, finde ich natürlich sehr viel.

Für mich…

Jetzt heißt es abwarten. Abwarten, bis die Lieferung ankommt. Bordeauxfarbener Stoff mit pinken Coronaviren drauf. Ich konnte nicht widerstehen. Es ging einfach nicht. Aber irgendwas muss man ja machen, wenn man nachts nicht einschlafen kann. Mittlerweile habe ich also ein Kundenkonto bei meinem zweitliebsten Stoffladen angelegt. Beim erstliebsten hatte es ja keinen Zweck, weil sich da die Zahlungsmöglichkeiten nicht mit meinen decken.

Den einzig wahren Stoff für Muttis Couchkissen habe ich allerdings immer noch nicht gefunden. Wahrscheinlich gibt es den gar nicht, und ich muss wohl selbst an den Webstuhl.

Das fehlte mir noch. Noch ein Hobby, das ich nur im Sitzen ausführen kann.

Dabei sitze ich doch sowieso schon ziemlich viel herum. Allein die ganzen Videokonferenzen, die ich so mache. Obwohl die heute sehr effizient war. Als ich meine Themenliste für die Tagesordnung gesehen habe, dachte ich noch, man müsste eine Pause machen, aber am Ende waren wir so schnell durch, dass die gar nicht nötig war. Und weil das so schön war, machen wir das am kommenden Sonnabend gleich nochmal, nur in verkleinerter Runde. Und mit nur einem Thema.

Aber bis dahin werde ich noch vier weitere dienstliche haben, inklusive Supervision.

Ich freu mich.

Nicht.

Aber was will man machen?