Dafür kann er schlecht gut gucken. Diese beiden Punkte bilden sozusagen das Zentrum seines Talentspektrums.
Mit dieser Erkenntnis fing der Tag an.
Das heißt, eigentlich fing er mit meinen zwei Weckern an, wovon mir der zweite, wie ich gerne gestehe, wesentlich lieber ist als der erste, auch wenn er manchmal ins Telefon hustet.
Danach konnte der Tag dann aber wirklich beginnen. Wir hatten bereits unser Teammeeting überstanden, da klingelte es an der Tür. Halb so wild, sowas kann ja in den besten Familien vorkommen. Leider stand ich gerade genau neben der Gegensprechanlage.
Ich also da ran, und es ertönte aus dem Apparat Hier ist Ralph, ich möchte gerne rein.
Laut und deutlich brüllte ich über unseren Büroflur Wollen wir Ralph reinlassen?
Das Kollegium hielt sich bedeckt, nur Kayra fragte, wer dieser Ralph sein soll. Das fragte ich mich zu gewissen Zeiten in meinem Leben auch, aber ich drückte auf der Grundlage dieser neutralen Reaktion ganz pflichtbewusst auf den Knopf.
Wie schön, der Vollidiot meines Vertrauens hatte Zutritt zum Haus erlangt, ich erwähnte ihn bereits. Oben. Unter dem Tagesordnungspunkt Talentspektrum. Er hat es dann auch geschafft, die Treppe hochzukommen, bevor wir vom Tatort verschwinden konnten.
Und da wird der mich doch fragen Wieso fragst Du mich, ob ich Ralph-Ralph bin?
Hä? Mit diesem fachlich sehr hochwertigen Input fing ich an, mich über seine Ohren auszulassen. Und schloss mit der Erklärung Ich habe meine lieben Kolleginnen gefragt, ob wir Dich reinlassen wollen.
Wir zogen alle unsere Bahnen, und ich wurde leider nicht mehr so ganz damit fertig, mein Haupt über diesen Vorfall zu schütteln. Der hat aber auch schon öfter Sachen gehört, die ich gar nicht gesagt habe. Vor diesem Hintergrund hätte ich mir das einsetzende Schleudertrauma in dieser Angelegenheit im Grunde sparen können.
Der Rest des Tages plätscherte so vor sich hin, ich habe festgestellt, dass ich so, wie ich gerade arbeiten muss, nicht arbeiten kann, und traf den werten Kollegen am Ende wieder auf der Treppe. Natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn mit der Ansprache Ralph-Ralph zu verabschieden.
Das mache ich jetzt am besten immer so. Auch wenn ich langfristig wahrscheinlich die Einzige bin, die das lustig findet. Er tönte noch durchs Treppenhaus, er wäre the one and only.
Ich hätte an der Stelle eigentlich zurückgeben müssen, dass das, wenn es wirklich so wäre, sehr traurig wäre, weil er ja nie Zeit hat, aber stattdessen hallte mein süßes Träum weiter! durch den Flur.
Ich weiß, dass man Männern so etwas lieber nicht sagen sollte, aber das ist mir ja mittlerweile auch alles egal. Unterm Strich betrachtet war der Tag recht schön. Planerfüllung geht anders, ich weiß, aber es war schön. Beim großen gemeinschaftlichen Lachanfall haben wir unser Soll erbracht, bei den offenen Posten nicht.
Das heißt, ich habe daran gearbeitet, aber als ich damit fertig war, rief mich Renate an und fragte mich, ob ich gut sitze. Nein! Rief ich. In der wohlüberlegten Annahme, dass jetzt irgendwas kommt.
Es kam auch was. Die Aufstellung der offenen Posten war nämlich nicht aktuell, weil Renate ihre Buchungen noch nicht übergeben hatte. Schön, dass ihr das pünktlich zu Feierabend noch eingefallen ist. Da kann ich dann morgen gleich wieder von vorne anfangen.
In einer Art Wahnsinnsfindung lachten wir unseren Frust aber weg.
Bis sie das Gespräch mit Bis später abschloss. Und ich darauf mit Danke antwortete. Da lachten wir wieder.
Aber nicht lange. Denn bei der überstürzten Flucht aus dem Büro in Richtung Heimat stellte meine Renate fest, dass sie an diesem wundervollen Tag einen Ohrring verloren hatte. Hektische Suche, und auch der Bernhard hat geholfen. Weil man sich mit dem Mann über so ziemlich alles unterhalten kann, kam es auch bald zum Austausch privater Informationen.
Ich habe nur ein Loch. Sprach er.
Wir dankten für das Kopfkino. Ja klar, es ging gerade um Ohrlöcher, aber diese Angabe mal für sich allein gestellt, sie war doch recht schön.
Auf dem Heimweg werteten wir das detailgetreu aus. Und stellten uns vor, wie der Bernhard vor der Toilette steht und seine persönlichen Abfallprodukte aus dem Ohrloch schüttelt.
Na, das sieht ja Gottseidank keiner. (ich)
Oder er geht im Park an einen Baum. Mit heruntergelassener Hose. Damit er nicht so auffällt. (Renate)
Und dann schüttelt er sein Ohr aus. (ich wieder)
Die Schlangenlinien mussten die hinter uns fahrenden Autos an dieser Stelle leider erstmal tolerieren. Auch wenn ich mir diesen Anblick nicht unbedingt vorstellen möchte, nachdem sich mir am Montag die Gelegenheit feilbot, mir das Klempnerdekolleté anzusehen.
Er kann seine Hosen anbehalten.
Ich würde im Ernstfall sogar darum bitten.
Auch wenn er noch so ein netter Mensch ist. Ich bin ja nicht so die Nett-Fraktion.
Ja, und dann wundere ich mich, wenn ich immer wieder an Arschlöcher gerate.
Arschlöcher, die auch lange, lange nach Ablauf ihres Verfallsdatums glauben, ich hielte sie in einer Intensität für Gottes Geschenk an die Frauen, dass ich sie gleich doppelt anspreche.
Aber egal, es ist Mittwoch, es kommt was im Fernsehen, und ich muss ja auch noch stricken.
Normalerweise wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, mich weinend in eine Ecke zu setzen, aber ich lache noch über Ralph-Ralph und das eine Loch von Bernhard.
Ist leider so.
Was soll man da machen?
Hauptsache, ich habe was zu lachen.
Mehr will ich heute nicht mehr von der Welt.