Und wieder geht ein Wochenende von uns

Ich weiß immer noch nicht, ob ich übernächste Woche nun nach Thüringen fahre oder nicht. Aber ich habe meine Geschenke zusammen. Fehlt nur noch die Verpackung.

Diesen Erwerb mache ich aber wirklich erst, wenn ich Bescheid weiß. Gut, man könnte einfach mal anrufen, denn auch Tina hat ein Telefon. Aber heute musste ich mich erstmal entspannen. Nachdem ich die sechzig Seiten, die ich bis Dienstag korrekturlesen sollte, heute in einem Rutsch gemacht habe, musste ich zwei Stunden im Liegen verbringen.

Gelegen habe ich ja vorher nicht allzu viel.

Auch wenn es nur knapp sechzig Seiten waren.

Allerdings hatte ich mehr Bilder erwartet. Jetzt hoffe ich nur noch, dass die Datei am Zielort auch geöffnet werden konnte. Nach dem Versenden der ersten Version kam nämlich ein Hilfeschrei, und dann musste ich das ganze Ding nochmal anders speichern, und seitdem herrscht Ruhe.

In die hinein kann ich mir jetzt selbst ausdenken, ob das mit dem Öffnen geklappt hat oder nicht. Tja, so sind die Leute. Wenn sie was zu meckern haben, hört man sie gut. Wenn nicht, dann nicht.

Na, egal. Mein Kopf hat jetzt logisch geschlossen, dass mein Part für heute erledigt ist.

Und damit mache ich den Kopf für heute auch zu, freue mich, dass die nächste Arbeitswoche gerade recht geschmeidig erscheint, die übernächste mit ihren zwei Arbeitstagen noch mehr.

Und selbst, wenn ich nicht nach Thüringen komme, was sehr schade wäre, habe ich natürlich schon einen Alternativplan. Der fiel mir heute ein, als ich auf dem Rückweg von der Wochenendentspannung war. Ich brauche nämlich dringend einen kleinen Weekender. Damit ich für solche Ausflüge ein paar mehr Klamotten einpacken kann, die ich dann nicht anziehe. Und ich habe den passenden Stoff am Lager.

Zusätzlich zu der Kiste mit dem ganzen ungenähten Stoff, die den Umfang eines Ikeaesstischkartons hat.

Ich kann mich schon sehr gut mit mir selbst beschäftigen.

Das heißt, ich könnte. Wenn mich die Motivation packt.

Der ich recht oft erfolgreich entfliehen kann.

Auch so ein Talent, das nicht jeder sein Eigen nennt.

Operative Hektik

Ersetzt geistige Windstille.

Ja!

Liebe Brüder und Schwestern, liebe Gemeinde, ich grüße aus dem Wochenende.

Ok, ich bin nicht da, sondern weg, mein Handgelenk wird von einem Stempel geziert, auf dem steht Handgemacht, weil ich heute, nachdem ich gestern spontan am Straßenrand das Wort Kreativmarkt aufgelesen hatte, auf ebendiesem Kreativmarkt war. Aber erst nach dem Mittagsschlaf, so viel Wellness muss schon sein.

Ich würde auch unterhalb der Woche gerne Mittagsschlaf machen, aber mein Schreibtisch ist zu hart. Und auf beiden Seiten wohnen sehr hohe Papierstapel, da habe ich Angst, dass ich diese mit einer unbedachten Bewegung in einem meiner wilden Mittagsträume zu Boden reißen würde. Und dann müsste ich die alle wieder aufsammeln, und dann würde ich nur wieder Arbeitsaufgaben finden, die ich in diesem Gewühl niemals wiederfinden wollte.

Also lasse ich das mit dem Mittagsschlaf lieber sein und stöhne einfach weiter unter meiner Last.

Aber ich vergaß: Es ist Wochenende. Die einzige Zeit, die man sich meist nicht schönsaufen muss. Was man aber oft genug trotzdem tut. Egal. Ich war heute auf dem Kreativmarkt und habe in der Tat erste Weihnachtsgeschenke erworben. Dazu kann ich jetzt leider nichts weiter sagen, denn es soll ja eine Überraschung bleiben.

Ich bin jedenfalls hochzufrieden mit der Gesamtsituation. Zumindest, was das angeht. Nebenbei musste ich mir leider eingestehen, dass ich mich körperlich erstaunlich unwohl fühle. Seelisch auch. Zwar bin ich allgemein wegen der Erwerbungen irgendwie recht ausgeglichen, aber gerade wächst die Lust in mir, mal für drei Monate so eine richtig schöne Burnoutprophylaxe zu machen.

Sechs Monate wären auch ok.

Leider habe ich dafür gar keine Zeit, deshalb muss heute erstmal Chardonnay herhalten.

Ich hoffe nun inständig, nicht zu erkranken, aber wahrscheinlich nur, weil ich auch Geschenke für Renate gefunden habe. Und ich kann es gar nicht erwarten, ihr diese zu überreichen. Scheiß doch drauf, dass Weihnachten erst in sechsundachtzig Tagen und ihr Geburtstag im Mai stattfindet, ich kann schenken, wann ich will.

Und sie braucht diese Ohrringe. Auf dem einen steht hier rein. Auf dem anderen da raus. Die hat sie selbst bewusst gesucht. Und ich habe sie heute gefunden. An einem Stand, der gar liebliche Hackebeilchen mit Blutspritzerapplikation als Gehänge für die Ohren feilbot, fragte ich aus einem spontanen Impuls heraus, ob es das angepeilte Objekt vielleicht auch gibt.

Dies hörte eine Kundin. Die sogleich meinte, sie hätte ein solches Modell woanders hier in der Halle gefunden. Sie zeigte mir auch die Visitenkarte. Und prompt erwarb ich derer zwei. Also, Ohrringpaare, nicht Visitenkarten.

Für mich auch nochmal. Aber vielleicht schenke ich sie auch noch weiter. Oder wahrscheinlich eher nicht. Man kennt mich ja.

Dann habe ich noch was für meine Psychiaterfreundinnen gefunden, was ich jetzt wirklich nicht verraten kann, ein Dekorationsschild mit der Aufschrift Ich bin nicht einfach gestrickt, und ich habe auch noch Bommeln dran, das ich vor Ort ließ, weil ich genug Dekorationsschilder habe, auch wenn man davon nie genug haben kann, und eine Tafel Trostschokolade, auf die ein findiger Unternehmer den Spruch Operative Hektik ersetzt geistige Windstille aufgedruckt hat. Die kriegt auch Renate, denn das beschreibt den Zustand in unserem Büro sehr, sehr gut in nur fünf Worten.

Ich habe das schon für die Nachwelt abfotografiert. Und das mit den Bommeln werde ich auch noch kreativ verwursten.

Zumindest, wenn meine Brust wieder abgeschwollen ist. Was sie gerade noch nicht ist, weil ich so stolz bin. Ich habe nämlich einen Stoff nicht gekauft. Er war oben rot mit weißen Punkten und unten mit einer Landschaft mit von niedlichen Zwergen bewohnten Fliegenpilzen gemustert. Ich hatte noch überlegt, daraus einen Rock zu machen, der hätte echt gefetzt, aber das Stoffstück war ganze fünfzig Zentimeter breit, das ist leider zu wenig.

Gottseidank! Man stellte sich nur vor, ich wäre so bekleidet zur Arbeit erschienen! Die hätten womöglich in sofortiger operativer Hektik nach der Telefonnummer des Psychosozialen Notdienstes geggogelt. Ich meine, ich habe diese Nummer in meinem Apparat gespeichert, weil ich ja schon weiß, mit was für Irren ich den ganzen Tag zu tun habe, aber ich schweife ab.

Andererseits habe ich, das wollte ich eigentlich sagen, für diese Zwecke auch einen Rock mit Ziegen-auf-dem-Bauernhof-Motiv.

Ok, jetzt ärgere ich mich doch.

Brust wieder normal.

So viel zum Thema Wochenende.

Warten auf den Knall

Wir haben einen neuen Level erreicht. Ja, ok, die Kündigungsphantasien haben sich nun kollektiv ausgeweitet.

Heute haben Claudia und ich uns zum Beispiel gemeinsam vorgestellt, wie wir alle gleichzeitig gehen. Fristgerecht zum nächsten Jahresabschluss. Das wäre mal angenehm eklatant. Da kann sich dann auch keiner mehr damit herausreden, dass wir alle überfordert waren und entsprechend vergrault wurden. Damit gibt ja unsere Chefin immer an.

Nein, jetzt werden wir durchhalten. Und warten auf den großen Knall.

Denn eigentlich ist das hochinteressant. Wir seilen uns mental einfach ab und gucken von oben auf den ganzen Irrsinn, den wir tagtäglich erleben.

Von oben gucken wir aber sowieso durchgängig und ganz haptisch seit gestern, weil doch Renate ihren einen Ohrring verloren hat, und wir suchen ihn immer noch. Wobei der wahrscheinlich für immer entschwunden ist. Dennoch lassen uns jegliche Fußböden optisch nicht mehr los. Leider erfolglos, aber man kann ja nie wissen.

Ansonsten gibt es für heute eigentlich gar nichts zu berichten. Ich habe unter Aufbietung aller Mentalkräfte staubgesaugt und bin nun hochzufrieden, weil es gleich viel aufgeräumter aussieht. Ich hätte zuerst saugen sollen, dann hätte ich nicht so viel aufräumen müssen.

Na gut, sooo viel aufgeräumt habe ich ja gar nicht. Aber immerhin ist der Stapel Bettwäsche, den ich seit dem Wochenende zwischen Couch und Bett – je nachdem, wo ich mich gerade aufhalten wollte – hin und her getragen habe, nun weggeräumt, die Tasche für das Wochenende ist halb gepackt, und ich hoffe, ich kriege die andere Hälfte noch unter.

Beim Taschenpacken ist es ja immer so, dass man anfangs denkt Och, da passt ja alles rein und ist auch gar nicht so voll. Oder schwer...

Und am Ende wird es immer mehr, was einem noch so Mitnehmenswertes einfällt, und dann ist sie doch viel zu klein. Und zu schwer.

Aber das sind Luxusprobleme. Zumal sich die besagte zweite Hälfte derzeit noch in der Waschmaschine befindet. Das setzt mich innerlich schon wieder ordentlich unter Druck, weil ich nicht weiß, ob der ganze Krempel bis morgen Nachmittag auch trocken wird, denn alles andere wäre ja unschön.

Wenigstens der Sekt steht kalt. In dieser Hinsicht kann ich für heute hundertprozentige Planerfüllung vermelden. Aber auch nur in dieser, und deshalb gehe ich jetzt auf direktem Weg auf meine Couch und stricke an meiner Handtasche weiter.

Die muss dringend fertigwerden.

Denn ich habe doch sonst keine Handtaschen.

Kann man sich ja vorstellen.

Schlecht hören kann er gut

Dafür kann er schlecht gut gucken. Diese beiden Punkte bilden sozusagen das Zentrum seines Talentspektrums.

Mit dieser Erkenntnis fing der Tag an.

Das heißt, eigentlich fing er mit meinen zwei Weckern an, wovon mir der zweite, wie ich gerne gestehe, wesentlich lieber ist als der erste, auch wenn er manchmal ins Telefon hustet.

Danach konnte der Tag dann aber wirklich beginnen. Wir hatten bereits unser Teammeeting überstanden, da klingelte es an der Tür. Halb so wild, sowas kann ja in den besten Familien vorkommen. Leider stand ich gerade genau neben der Gegensprechanlage.

Ich also da ran, und es ertönte aus dem Apparat Hier ist Ralph, ich möchte gerne rein.

Laut und deutlich brüllte ich über unseren Büroflur Wollen wir Ralph reinlassen?

Das Kollegium hielt sich bedeckt, nur Kayra fragte, wer dieser Ralph sein soll. Das fragte ich mich zu gewissen Zeiten in meinem Leben auch, aber ich drückte auf der Grundlage dieser neutralen Reaktion ganz pflichtbewusst auf den Knopf.

Wie schön, der Vollidiot meines Vertrauens hatte Zutritt zum Haus erlangt, ich erwähnte ihn bereits. Oben. Unter dem Tagesordnungspunkt Talentspektrum. Er hat es dann auch geschafft, die Treppe hochzukommen, bevor wir vom Tatort verschwinden konnten.

Und da wird der mich doch fragen Wieso fragst Du mich, ob ich Ralph-Ralph bin?

Hä? Mit diesem fachlich sehr hochwertigen Input fing ich an, mich über seine Ohren auszulassen. Und schloss mit der Erklärung Ich habe meine lieben Kolleginnen gefragt, ob wir Dich reinlassen wollen.

Wir zogen alle unsere Bahnen, und ich wurde leider nicht mehr so ganz damit fertig, mein Haupt über diesen Vorfall zu schütteln. Der hat aber auch schon öfter Sachen gehört, die ich gar nicht gesagt habe. Vor diesem Hintergrund hätte ich mir das einsetzende Schleudertrauma in dieser Angelegenheit im Grunde sparen können.

Der Rest des Tages plätscherte so vor sich hin, ich habe festgestellt, dass ich so, wie ich gerade arbeiten muss, nicht arbeiten kann, und traf den werten Kollegen am Ende wieder auf der Treppe. Natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen, ihn mit der Ansprache Ralph-Ralph zu verabschieden.

Das mache ich jetzt am besten immer so. Auch wenn ich langfristig wahrscheinlich die Einzige bin, die das lustig findet. Er tönte noch durchs Treppenhaus, er wäre the one and only.

Ich hätte an der Stelle eigentlich zurückgeben müssen, dass das, wenn es wirklich so wäre, sehr traurig wäre, weil er ja nie Zeit hat, aber stattdessen hallte mein süßes Träum weiter! durch den Flur.

Ich weiß, dass man Männern so etwas lieber nicht sagen sollte, aber das ist mir ja mittlerweile auch alles egal. Unterm Strich betrachtet war der Tag recht schön. Planerfüllung geht anders, ich weiß, aber es war schön. Beim großen gemeinschaftlichen Lachanfall haben wir unser Soll erbracht, bei den offenen Posten nicht.

Das heißt, ich habe daran gearbeitet, aber als ich damit fertig war, rief mich Renate an und fragte mich, ob ich gut sitze. Nein! Rief ich. In der wohlüberlegten Annahme, dass jetzt irgendwas kommt.

Es kam auch was. Die Aufstellung der offenen Posten war nämlich nicht aktuell, weil Renate ihre Buchungen noch nicht übergeben hatte. Schön, dass ihr das pünktlich zu Feierabend noch eingefallen ist. Da kann ich dann morgen gleich wieder von vorne anfangen.

In einer Art Wahnsinnsfindung lachten wir unseren Frust aber weg.

Bis sie das Gespräch mit Bis später abschloss. Und ich darauf mit Danke antwortete. Da lachten wir wieder.

Aber nicht lange. Denn bei der überstürzten Flucht aus dem Büro in Richtung Heimat stellte meine Renate fest, dass sie an diesem wundervollen Tag einen Ohrring verloren hatte. Hektische Suche, und auch der Bernhard hat geholfen. Weil man sich mit dem Mann über so ziemlich alles unterhalten kann, kam es auch bald zum Austausch privater Informationen.

Ich habe nur ein Loch. Sprach er.

Wir dankten für das Kopfkino. Ja klar, es ging gerade um Ohrlöcher, aber diese Angabe mal für sich allein gestellt, sie war doch recht schön.

Auf dem Heimweg werteten wir das detailgetreu aus. Und stellten uns vor, wie der Bernhard vor der Toilette steht und seine persönlichen Abfallprodukte aus dem Ohrloch schüttelt.

Na, das sieht ja Gottseidank keiner. (ich)

Oder er geht im Park an einen Baum. Mit heruntergelassener Hose. Damit er nicht so auffällt. (Renate)

Und dann schüttelt er sein Ohr aus. (ich wieder)

Die Schlangenlinien mussten die hinter uns fahrenden Autos an dieser Stelle leider erstmal tolerieren. Auch wenn ich mir diesen Anblick nicht unbedingt vorstellen möchte, nachdem sich mir am Montag die Gelegenheit feilbot, mir das Klempnerdekolleté anzusehen.

Er kann seine Hosen anbehalten.

Ich würde im Ernstfall sogar darum bitten.

Auch wenn er noch so ein netter Mensch ist. Ich bin ja nicht so die Nett-Fraktion.

Ja, und dann wundere ich mich, wenn ich immer wieder an Arschlöcher gerate.

Arschlöcher, die auch lange, lange nach Ablauf ihres Verfallsdatums glauben, ich hielte sie in einer Intensität für Gottes Geschenk an die Frauen, dass ich sie gleich doppelt anspreche.

Aber egal, es ist Mittwoch, es kommt was im Fernsehen, und ich muss ja auch noch stricken.

Normalerweise wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, mich weinend in eine Ecke zu setzen, aber ich lache noch über Ralph-Ralph und das eine Loch von Bernhard.

Ist leider so.

Was soll man da machen?

Hauptsache, ich habe was zu lachen.

Mehr will ich heute nicht mehr von der Welt.

Alles zusammen unterm Strich

Mein Leben langweilt mich gerade irgendwie. Ich habe das dumme Gefühl, dass jeden Tag das Gleiche passiert. Mit nur minimalen Highlights. Die eigentlich keine sind, weil sie alle gleich sind.

Wobei es heute wieder schön war. Meine Gesine hat völlig aufgedreht, als ich ihr von Ruslanas Deutungen gestern erzählte. Nee, das ist Quatsch. Lautete ihr niederschmetternder Kommentar. Das kann sie sich nicht vorstellen.

Und trotzdem beäugte auch sie ganz skeptisch die neue Körperfülle unserer Leitung. Zweimal ist sie ganz unauffällig extra gucken gegangen. Mann, ist die aus dem Leim gegangen! Rief sie, als sie vom zweiten Erkundungsgang zurück an unsere gemeinsame Wirkungsstätte kam. Diese Intensität der Schadenfreude kenne ich gar nicht an ihr!

Wir spekulieren weiter. Ruslana und Claudia sind der Meinung, dass da Nachwuchs heranreift, Renate und Gesine, dass es sich einfach nur um rasant aufblühende Fettzellen handelt. Kayra wurde aus der Gruppe ausgeschlossen, und ich stehe wieder mal dazwischen. Mit dem Wissen, dass hier sehr wohl der Herr Wunsch Vater des Gedanken ist.

Irgendwann fiel Gesine dann auf, dass so eine Umplanung der Familiengeschichte ja durchaus Auswirkungen auf ihr weiteres Leben haben kann. Ja, weil wir in einem solchen Fall für mindestens ein Jahr unsere Ruhe haben werden.

Obwohl man Gesine ja schon jetzt mehrheitlich in Ruhe lässt. So sehr, dass es, wenn Claudia und sie zum Beispiel dasselbe im Teammeeting gesagt haben, immer heißt, dass das nur Claudia so sieht. Das zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Protokolle. Als wäre Gesine unsichtbar. Und stumm. Aber dafür lässt sie die Doppelleitung auch wirklich gut in Ruhe.

Es muss ja auch nicht allen so ergehen wie dem bedauernswerten Bernhard. Der soll jetzt alle Technikkosten der vergangenen drei Jahre für alle Standorte auflisten.

Ich habe die dazugehörige Tabelle gesehen.

Es sieht aus wie eine Strafarbeit.

Entworfen hat die der Vollidiot meines Vertrauens. Ich meine, es wäre der Buchhaltung ein Leichtes, diese Zahlen auf Knopfdruck zusammenzustellen. Oder dem Controlling. Dem sollte dies auch gelingen.

Aber der Auftrag kam von da. Und Bernhard hat leider nicht die Position zu sagen, dass unsere Leitung sich diesen Kram doch bitte alleine zusammenklicken soll. Weil die nämlich leider gerade damit beschäftigt ist, alles und jeden auf Schritt und Tritt zu kontrollieren. Was zwar kein echtes Controlling ist, aber lassen wir das.

Gnädigerweise hat sich der Vollidiot meines Vertrauens aber dazu herabgelassen, morgen vorbeizukommen und Bernhard zu unterstützen.

Mann, habe ich eine Lust, morgen zur Arbeit zu gehen. Ich überlege schon eine ganze Woche, was ich da anziehe. Idealerweise einen Rock, bei dem ich sofort merke, wenn der sich ungünstig mit der Strumpfhose verhakt hat.

Aber eigentlich ist das nun auch egal, ich kann den sowieso nicht mehr leiden, und diese Kleiderfrage entstand aus reiner Gewohnheit. Wobei man zu derlei Gelegenheiten natürlich wunderschön aussehen muss, damit derlei Gestalten auch sehen, was sie verpasst haben.

Ansonsten bin ich eigentlich ganz zufrieden mit der Welt. Ich habe diverse Nähprojekte im Kopf geplant, eine neue gebrauchte Schneidematte bei Renate erworben, Tupperdosen auch – die gibt es gerade in unserem Kiezsupermarkt; man muss nur hundertfünfzig Euro in den Laden tragen, schon kann man drei kleine Schälchen für fünfzehn Euro kaufen; und als ich damit in der Küche aufkreuzte, hörte ich doch meine Chefin sagen, dass ich was hätte sagen sollen, denn sie hat vor kurzem ihren ganzen Tupperkram gegen Glaskram ausgetauscht. Wollte die mir jetzt ihre alten Tupperdosen vermachen? Soweit geht die Liebe meinerseits nun wirklich nicht. Wenn es denn je welche gegeben hätte – jetzt habe ich irgendwie den Faden und den Ausdruck, der da hinten dran hängt, verloren.

Jedenfalls: Wenn es mir trotz der neuen Tupperdosen und der Schneidematte immer noch schlecht gehen sollte, denke ich einfach an den Anblick, der sich mir bot, als Anne heute die Treppe hochkam.

Sie war gerade unserer Leitung entkommen und hatte das Gesicht eindeutig zur Faust geballt.

Wenn ich in vier Wochen noch lebe, sag mir bitte Bescheid. Sagte sie mir.

Ja, ok, ich komme ab und zu vorbei und überprüfe Deine Vitalfunktionen. Atmung, Puls und so weiter.

Anne ist sich allerdings nicht zu hundert Prozent sicher, ob sie die nächsten Wochen überlebt. Die Chancen liegen ihrer Einschätzung nach deutlich unter fünfzig. Prozent.

Aber ich habe gelernt: Kein Mitleid mit der Leitung, niemand hat die Leute dazu gezwungen.

Höchstens so rein privat. Weil es Anne ist. Aber da auch nur ein bisschen. Mehr kann ich mir nicht leisten.

Heute leiste ich mir zum Beispiel nur noch, mich auf die Couch zu setzen und an meiner Handtasche weiterzustricken.

Und noch ein paar Bloßnochs.

Was man am Abend eben so macht.

Und was dann wieder Ewigkeiten in Anspruch nimmt.

Zumindest alles zusammen unterm Strich.

Vielleicht geht das ja mit Penicillin wieder weg

Irgendwie ist mir heute kalt.

Liegt es eventuell an den Außentemperaturen?

Ich meine, so ein gefühlter Temperatursturz um zwanzig Grad kann einen schon mal das Frieren lehren.

Vielleicht habe ich mich auch einfach nur stilistisch fehlleiten lassen. Denn zum lila Rock wollte ich keine lila Jacke anziehen. Nicht, dass ich kein Lila mag, aber die beiden Farbtöne sind so unterschiedlich, dass sie sich direkt auf meinem Körper gebissen hätten. Also musste eine schwarze Jacke herhalten, die jedoch eindeutig nicht jahreszeittauglich war.

Beziehungsweise wäre sie es vor ein paar Tagen noch gewesen, aber heute eben nicht mehr. Und so verließ ich am Morgen das Haus. Der kalte Wind von vorne war so dominant, dass ich hinten gleich gar nichts mehr merkte. Erst als mir eine fremde Frau, nachdem ich bereits eine gute Viertelstunde unterwegs war, von hinten auf die Schulter tippte, da merkte ich dann was.

Ja, dass mein Rock die ganze Zeit in der Strumpfhose an meiner Kehrseite eingeklemmt war. Und man weiß, wo die Strumpfhose gemeinhin ihre letzte und einzige Öffnung hat.

Schön, dass vorher niemand was gesagt hat. Und schön, dass meine Strumpfhose wenigstens blickdicht war. Noch schöner, dass ich die Frau wahrscheinlich nie wieder treffen beziehungsweise wiedererkennen werde. Sowas von peinlich.

Aber ich bin dankbar, dass ich das Malheur noch vor meinem Eintreffen bei der heutigen Betriebsratssitzung bewältigen konnte. Wäre ja nicht auszudenken gewesen, wenn ich da so aufgekreuzt werde. Wobei sowas ja in den besten Familien vorkommen soll.

Na, ich habe es mittlerweile überwunden. Gibt ja auch schlimmeres. Ja, täglich in ein Irrenhaus zu gehen, das sich selbst als den besten Arbeitsplatz der Welt ansieht. Völlig unreflektiert! Lange habe ich daran geglaubt, dann lange daran festgehalten, aber, nein, mein Arbeitsplatz ist ganz sicher nicht der beste der Welt.

Obwohl ich eine der drei Auserkorenen bin, die eine neue Lampe zu Testzwecken erhalten haben. Seitdem geht zwar mein Scanner nicht mehr, und auch der Drucker spinnt, aber wenigstens sitze ich in diesen dunklen Stunden im Licht. Das ist so tageslichtartig, dass der Sascha mein Büro nur noch mit Sonnenbrille auf der Nase betritt.

Auch gut, er ist eh nicht mein Typ, da muss ich auch die Augen nicht unbedingt sehen.

Ruslana habe ich heute auch kaum in die Augen geguckt. Aber die habe ich nur ganz kurz gesehen, weil sie früh weg musste, weil sie mit ihrem Sohn zum Arzt musste. Freitag ist sie früher gegangen, weil beide Kinder beim Friseur vorbestellt waren.

Heute war sie aber wieder wohlauf und unkte fröhlich durch den Flurfunk hindurch. Es ist nämlich so, dass unsere Oberleitung im Frühling im Rahmen eines Langzeitfluges aufgehört hat zu rauchen. Und wie der Teufel es so wollte, hat sie direkt all die Kalorien, die dieses Hobby verbraucht, um ihre Hüften herum angesammelt.

Kann ja jedem mal passieren. Ich selbst habe vor kurzem ja auch Bilder von mir gesehen, die ich der Welt lieber verschweige. Da sehe ich heute doch wesentlich passabler aus (sowas  in der Richtung hat gestern sogar meine Tante von sich gegeben, die mich sonst auch gern mal mit der Anmerkung, dass ich meinen Brotkorb wohl mal etwas höher hängen sollte, begrüßt hat – die Tante trägt eine stattliche Sechsundvierzig, ich nicht).

Jedenfalls kennt die liebe Ruslana für solch einen Körperfüllungsaufbau nur einen Grund. Natürlich. Allein von diesem Anblick hat sie diagnostiziert, dass unsere Leitung ein kleines Bisschen schwanger ist. Klar! Ganz bestimmt. Ich glaube nicht daran.

Und doch konnte ich mich heute kaum bremsen, das kleine Bäuchlein immer wieder zu bestaunen. So, wie das aussieht, kann ich das Ergebnis von Ruslanas optischer Untersuchung aber auch wirklich nachvollziehen.

Flugs haben wir eine neue Bürowette ins Leben gerufen. Wir sind schon sehr neugierig auf den neuen Erdenbürger. Nur Renate glaubt nicht daran. Die denkt ernsthaft, die Karriere wäre der Frau wichtiger. Ich weiß, dass es eigentlich so ist, werde aber trotzdem nicht fertig damit, die Rundung nun meinerseits mit einem Röntgenblick zu prüfen. Ich hoffe nur, das Kind nimmt dadurch keinen Schaden.

Icke wieder! Altruistisch bis zum Erbrechen, und stellenweise bin ich schlimmer als Ruslana.

Und da wünschte ich mir, dass man mich noch irgendwie behandeln kann.

Vielleicht geht das ja mit Penicillin wieder weg.

Vielleicht auch nicht.

Vielleicht ist das gar nicht so schlimm.

Man muss ja sein Gehirn auch irgendwie vor der Umwelt schützen.

Und was ist da besser als ein bisschen Regression?

Und was mache ich nun mit dem angerissenen Abend?

Ich bin eigentlich viel zu müde. Aber schlafen ist jetzt auch noch nicht drin.

Muttis Geburtstag war jedenfalls sehr lustig. Mit Überraschungsgästen, so dass bei unserem Eintreffen alle Lieblingstanten und Onkels am Tisch saßen. Lediglich mein Herr Vater war nicht da, weil der traditionell an diesem Wochenende zur Kleintierschau gehen muss.

Dreißig Tombolalose hat die Verwandtschaft erworben. Weil die scharf auf die Weihnachtsente waren. Sie haben ein paar Topflappen gewonnen und eine irgendwo ausgesonderte Weihnachtstasse. Ich bin ganz neidisch.

Da hat sich meine Mutter doch wesentlich mehr über das Ausmalbuch mit Schimpfwörtern, das ich ihr für die letzten Meter bis zur Rente zugedacht habe, gefreut. Und wir haben wieder ein Stück Erbe geklärt – ich kriege eins der orangenen Messer. Davon hatte meine eine Tante mal ein Gros mitgebracht und sie nach Generationen absteigend verteilt. Das heißt, Oma hat drei bekommen, Mutti zwei und ich eins.

War ein super Messer. Ich habe es nur irgendwann mitsamt den Kohlrabischalen entsorgt. Was mich bis heute schmerzt. Aber da Mutti zwei Messer und zwei Kinder hat, ist das nun geregelt. Am liebsten hätte sie es mir ja gleich in die Hand gedrückt, aber ich kann warten.

Ich habe ja eigentlich genug Messer. Obwohl man davon nie genug haben kann. Wie schnell bleibt so ein Messer im Rücken ungeliebter Zeitgenossen stecken?

Gut, dass ich heute so gut wie keine davon getroffen habe. Ich bin aber trotzdem müde. Und es regnet auch. Man könnte wirklich direkt schlafen gehen. Zu mehr reicht auch die Motivation einfach nicht mehr aus. Vielleicht noch etwas Rückengymnastik, aber ansonsten freue ich mich schon sehr auf die Waagerechte. Morgen ist schließlich Montag.

Schon wieder!

Es ist immer noch erstaunlich, dass das so weiter geht. Gibt es da nichts von ratiopharm? Aber ich will mal nicht meckern. Ich hatte ein angenehmes Wochenende, das nächste wird bestimmt nochmal so schön, das danach auch. Und dann habe ich schon wieder ein paar Tage Urlaub.

Es geht also voran.

Sagen wir es mal so

Einen vernünftigen Blumenstrauß zu bekommen, ist heutzutage ein tagesfüllendes Unterfangen. Geschweige denn einen Klee im Topf. Das war nämlich eigentlich der Tagesplan.

Im ersten Blumenladen hatten sie keinen, im zweiten auch nicht, erst recht nicht im dritten. Nur die Sträuße, von denen ich einen parallel suchte, wurden in jedem Laden hässlicher.

Ich bin dann bis in den nächsten Baumarkt gereist. Ja, gereist.

Mit dem Schienenersatzverkehr. Der erst nicht kam, und dann irgendwann mal doch, und dann hatten sie auch im Baumarkt keinen Klee.

Den wollte ich eigentlich in den bereits vorhandenen Übertopf mit Fliegenpilzdekor pflanzen. Wegen des Glücks, das Mutti gerade irgendwie vermisst. Die Fliegenpilz-Klee-Idee ist jetzt auf Weihnachten verschoben, denn da kann man wahrscheinlich wieder massenhaft Klee kaufen.

Und ansonsten ist der Tag erledigt.

Ich auch.

Ich habe einen Blumenstrauß in Gelb und Hellorange erworben, an meiner Handtasche weitergestrickt, neue Pläne für noch eine Handtasche in derselben Fertigungsweise aber in einer ganz anderen Farbstellung gefasst, alle Geschenke eingewickelt, damit sie morgen wieder ausgewickelt werden können, und beim Sport war ich auch. Einzig die Badewanne wartet noch.

Da muss ich unbedingt rein. Warum, weiß ich nicht genau, aber mir ist danach.

Vielleicht wegen des Muskelkaters, den ich gerade verspüre. Nicht vom Sport, da habe ich es definitiv nicht übertrieben, auch wenn ich beim Krafttraining insgeheim darauf hinarbeite, gewisse Menschen ohne besondere Anstrengung an die Wand klatschen zu können.

Nein, der Muskelkater kommt vom Sekt kaufen. Ich habe doch schon wieder eine Wette verloren. Mit jemandem, der gar nicht so gerne Sekt trinkt, als Wetteinsatz von mir aber immer eine Kiste Sekt haben möchte. Da ich die am Ende mit austrinken muss, kaufe ich natürlich meine Lieblingssorte. Aber nach Hause tragen muss ich sie auch, und so ist heute mein linker Arm wieder etwas länger geworden. Und gefühlt auch breiter.

Das behebt alles die Badewanne! Und den Traum von letzter Nacht kann sie auch gleich abspülen!

Am gestrigen Abend habe ich zwar mit Renate per WhatsApp besprochen, dass ich mir beim Einschlafen immer das Wort Ganzkörperfixierung vorspreche, damit ich etwas Entsprechendes träume, aber letztendlich kann ich mich gerade nur noch daran erinnern, dass ich auf einem Mann saß und ihm erklärte, dass ich gern einmal pro Tag Geschlechtsverkehr hätte.

Er bekam Angst, und ich wachte auf.

Es gab auch ein Vorspiel zu diesem Traum, aber das muss so widersinnig gewesen sein, dass ich es diesmal ganz verdrängt habe. Wer weiß, wann mir das wieder einfällt. Oder auch nicht. Wenn ich den nächsten Scheiß zusammenträume, dann ist das bestimmt schon nicht mehr wichtig.

Das Schlimmste an der letzten Nacht ist sowieso, dass ich Renate, die um Berichterstattung gebeten hatte, niemals sagen kann, wer da eigentlich unter mir lag. Sie kennt den Mann. Ich auch.

Was mich allerdings nicht davon abhält, weiter zum Krafttraining zu gehen. Denn so kompakt der auch geraten ist, im Moment kriege ich den nicht hochgehoben. Wobei ich das noch nicht probiert habe. Kann ja bei Gelegenheit mal sagen Komm mal her, ich muss Dich mal kurz anheben. Nur um zu wissen, ob es schon funktioniert.

Ja, das stelle ich mir sehr schön vor. Auch wenn er dann Angst bekommt. Das freut mich nur doppelt. Mindestens! Wenn ich diese Zweifachfreude dann nochmal mit dem Umfeld teile, dann ist sie schon vierfach vorhanden. Ach, man könnte sie direkt mit einem Kommunikationssystem der Marke Schneeball ins Unendliche potenzieren.

Aber das geht natürlich nicht. Dann wäre ich ja viel zu ausgeglichen. Und ich möchte gern ein wenig unausgeglichen bleiben, weil ich dieses Gefühl gerade so schön kreativ ausgleiche.

Und das macht mich auch froh.

Kleine Abenteuer gibt es heute erst am Schluss

Ich überlege gerade, was der Tag heute eigentlich in seinem Füllhorn hatte.

Nichts Nennenswertes, würde ich sagen. Man kam wie immer kaum zum Arbeiten, weil man zwischenzeitlich durch sinnlose Besprechungen gestört wurde. Obwohl das nur zwei waren.

Eine davon mit ganz oben. Meine Leitung. Also, eine Stufe unter Gott. Nach ihrer Einschätzung zumindest. Für mich eine Stufe unter Sei froh, dass ich nicht das Geld für einen Profikiller habe.

Deswegen wird man so verhalten bezahlt! Alles klar.

Aber sie war sehr freundlich. Erstaunlich. Sollte sie doch etwas über das Motivieren von Menschen gelernt haben? Fragte ich mich zwischendurch ernsthaft.

Hat sie nicht. Sie verpackt alles lediglich in nettere Worte. Aber immerhin habe ich ihr bei meinem verspäteten Eintritt ins Wochenende Lebewohl für die nächsten zwei Tage gesagt. In dem Moment, in dem ich ihre Tür öffnete, grollte draußen das Wetter los.

Das passt! Dachte ich mir.

Na ja, ich bin dann mal weg. Mein Privatleben bietet schließlich auch sehr viel Schönes. Geschenkesuche für Mutti, und was koche ich überhaupt heute Abend? Außer dem Gemüserest von gestern war die Inspiration eher mager.

Und dann hat es ja auch die ganze Zeit geregnet.

Aber nur draußen.

Was mich nun nicht mehr weiter stört, da mein Dach hier zu Hause recht dicht ist. Die Logistik mit dem Umfeld habe ich inzwischen auch abgeklärt, Katja und ich verschieben unser gemeinsames Thüringenevent auf wann anders, mit Yvonne arbeitete ich ein Firmenkonzept aus, das uns reich und hoffentlich nicht allzu berühmt machen wird.

Ja, wir gründen eine Firma, die unliebsamen Zeitgenossen gegen Bezahlung die Köpfe amputiert. Nach längerem Hin und Her in dieser Angelegenheit stellte ich dann aber fest, dass das verdammt nach Profikiller klingt.

Gut, dann hätte ich wenigstens ein Ventil für meine Gewaltphantasien, und die Menschheit wäre um einiges reicher, die Mieten würden fallen, weil mehr Wohnungen frei würden, aber das gibt es leider alles schon.

Also, Profikiller.

Gibt es schon.

Wobei ich als Referenz so einigen den Kopf ab- und die Stimmbänder durchschneiden würde. Ich weiß sogar nicht mal, wo genau ich da überhaupt anfangen soll, so groß ist die Auswahl.

Ach, ich merke, ich sollte dringend noch ein Glas Milch trinken.

Mit ein bisschen Eierlikör drin, das beruhigt die Nerven.

Ok, das Gemisch ist halbe halbe.

Und wenn ich jetzt ein ganzes Wasserglas davon trinke, dann ist das auch kein Wunder, wenn das die Nerven beruhigt.

Dabei habe ich heute schon mit spitzen Gegenständen gearbeitet, und zwar nach dem ersten Glas Milch. Ist aber alles gutgegangen. Was ich selbst höchst erstaunlich finde. Ich bin nur sehr gespannt, was am Ende dieser Handarbeit rauskommt. Filzen in der Waschmaschine ist ja immer auch ein kleines Abenteuer. Ich hoffe, ich halte diese Spannung noch bis kurz nach elf aus.

Dann sind die Nachbarn erlöst.

Aber die haben ihre Köpfe auch noch.

Schon wieder so ein Umstand, der mich einfach nur überrascht.

Wunschlos – nicht glücklich

Endlich durfte ich heute wieder in mein Büro. Ich bin ja normalerweise ganz in der Welt verloren ohne mein Irrenhaus.

Nee. Eher nicht.

Das einzig Lohnenswerte war die Begegnung mit meinem Chef draußen vor der Tür.

Na, haste Dich schön fortgebildet? Fragte er.

Klar! Sagte ich.

Und worin eigentlich?

Im Betriebsverfassungsgesetz.

In dieser Sekunde fiel er vom Fahrrad.

Gegen die Wand.

Das war schön, aber er trug auch einen Helm dabei. Auch schön, denn ich mag den Mann ja. Und wenn es der letzte Mann in diesem Haus ist, den ich überhaupt noch leiden kann.

Ok, nach etlichen Wochen bekam ich auch Bernhard wieder zu Gesicht. Den mag ich auch noch. Und wenn es der Vorletzte…

Ich stellte mich ihm vorsichtshalber nochmal vollständig vor. Und seitdem ich mit dem geschimpft habe, geht mein Scanner wieder. Mein Emailfach ist zwar immer noch auf Null gedreht, damit der Azubi an meinem Platz arbeiten kann (was gleichbedeutend damit ist, dass ich es weniger gut kann, aber das stört nicht weiter, der Azubi ist schließlich viel wichtiger), aber ich blieb verhältnismäßig ruhig.

Obwohl mir heute aufgefallen ist, dass ich schon seit Monaten keinen mehr angeschrien habe.

Ich sollte es dringend mal wieder tun.

Der einzige Grund, der mich bislang abhielt, ist, dass ich mich partout nicht für einen entscheiden kann. Bernhard kann ich genauso wenig schon wieder drannehmen wie den werten Kollegen Arschloch. Am Sonntag könnte ich meinen kleinen Bruder anschreien.

Da fahren wir zu Muttis Geburtstag, und ich mag den nicht so. Erstmal brauche ich auch ein Geschenk.

Oder aber ich warte bis Mittwoch. Da kommt der werte Herr Idiot ins Haus, wie mir Bernhard heute wieselflink mitteilte, weil er, also Bernhard, plötzlich einen Zuständigkeitsbereich aus dem Controlling untergeschoben bekommen hat, und der Idiot soll ihm dabei helfen.

Na, das kann was werden. Vorsichtshalber hat sich Bernhard schon nach dem Sternzeichen erkundigt, weil der immer so schnell in Rage gerät, der Idiot. Ich hatte bisher nicht den Eindruck, aber der denkt das von mir ja auch nicht.

Ja, weil es bei mir gerne mal zeitversetzt passiert. Drei Tage später fällt mir, während ich beispielsweise gerade auf eine Bahn warte, oft ein, was X oder Y am Dienstag da eigentlich wieder von sich gegeben hat, was mich wiederum stehenden Fußes auf die Palme hätte bringen müssen, und dann stehe ich auf dem Bahnsteig und habe Gewaltphantasien.

Kein Wunder, dass man mich gemeinhin für tiefenentspannt und freundlich hält. Aber so bin ich mir dann doch lieber. Ich mag das ja überhaupt nicht, wenn Leute sich immer gleich beim kleinsten Anlass so hochspulen. Und wenn ich mit meinen kleinen Splattermovies im Kopf auf dem Gelände der Berliner S-Bahn stehe, dann lasse ich das natürlich nicht direkt an den unschuldigen Menschen aus.

Nicht mal an den Schuldigen.

Denn wer ist hier schon unschuldig?

Ich bin es nicht. Ich schenke meiner Mutter ein Schimpfwortausmalbuch für die letzten Tage bis zur Rente. Und es geht mir auch völlig gut damit. Wie es meiner Mutter damit geht, sei mal dahingestellt, das kann ich erst am Sonntag sagen, aber sie hat meine Frage nach einem Wunsch auch sehr sibyllisch mit Ich bin wunschlos, aber nicht glücklich. beantwortet. Dann muss sie auch mit den Resultaten leben.

Ich jedenfalls brauche dieses Buch. Was kein Wunder ist, denn ich war ja heute wieder arbeiten. Ich erspare der Welt mal die Details. Es war wie jeden Tag, nur anders schlimm, und man fragt sich, ob man es nur noch mit Idioten zu tun hat.