Der Mensch besitzt ähnliche Rezeptoren wie der Fadenwurm

Ah ja.

Dieses unnütze Wissen habe ich nun davon, dass ich mir mein Buch dann doch etwas aufsparen wollte. (Auch wenn es besser ist, das bei Tageslicht zu lesen).

Eigentlich wollte ich ausnahmsweise mal gar keine Wissensvermehrung erreichen, sondern lediglich eine E-Mail mit dem Betreff Verlängert kalorienarme Kost das Leben? lesen.

Damit ich sie entweder löschen oder ins Archiv verschieben kann, wo diese Nachricht dann den Rest ihrer traurigen Tage verbringen wird. Unberührt von allem. Vernachlässigt. Vergessen. Eine Karteileiche. Oder sowas in der Art.

Ich bin nur bis zu der Absatzüberschrift mit den Fadenwürmern gekommen. Dann gab ich auf. Zu verstörend war die übermittelte Information. Und ich fühlte mich auch gleich ziemlich fadenwürmig. Ein Wort, das es bisher noch nicht gab. Sagt mein Computer.

Ob kalorienarme Kost das Leben nun wirklich verlängert, weiß ich immer noch nicht. Wahrscheinlich kommt es einem nur länger vor. Weil der Abstand zwischen den Mahlzeiten so elendig endlos ist. Also die Phasen, in denen das Völlegefühl zwischen den Mahlzeiten nachlässt, was der Mensch der westlichen Zivilisation gemeinhin als Hunger kennt.

Wer wirft so spät nach Mitternacht noch Käse in den Fahrstuhlschacht?

So tönt es aus der Heimat. Dabei haben wir gar keinen Fahrstuhl. Eigentlich haben wir gar nichts. Berlin ist arm. Aber sexy. Wo genau sich diese Sexiness verstecken soll, weiß ich nicht, aber ich kann ja mal ein paar Touris interviewen.

Worauf ich eigentlich hinauswollte: Ich lese ein Buch.

Das ist so spannend, dass ich mit der U-Bahn zuweilen über mein Ziel hinausschieße und mich unerwarteterweise schon an verschiedenen Endhaltestellen im Umland wiederfand.

Nur gestern Abend, als ich mich niederlegen wollte, um noch ein bisschen weiterzukommen und zu sehen, wie es mit all den Kreuzottern und Taipanen im beschaulichen britischen Dörfchen weitergeht, da fand ich Herrn Wischmeyer neben meinem Bett.

Beziehungsweise eines seiner wortfreudigen Werke. Ich ließ Krimi Krimi sein und las einen Logbucheintrag.

Und noch einen.

Laut.

Bedingt durch eine nicht geringe Menge Prosecco, dem, nachdem seine Neige deutlich erreicht war, ein weiterer Piccolo folgte, sehr laut.

Die Nachbarn auf ihren Balkons schlugen sich auf die erzitternden Schenkel. Ich muss ja sowieso lesen üben. Darüber wurde es drei, sämtliche sprudelnden Alkoholika, derer man in diesem Haushalt theoretisch irgendwann einmal habhaft werden konnte, sind vom Erdboden verschwunden.

Jetzt ist mir kotterig. Und mein Schädel spricht, dass es keine besonders glorreiche Idee war, mitten in der Lesung die Sorte zu wechseln.

Aber was blieb mir anderes übrig? Sicher, ich hätte mich beschränken und nach den obligatorischen Freitagsgläschen zur Ruhe gehen müssen. Aber macht das Spaß? Wohl eher nicht. Und beschweren kann ich mich auch nicht. Meine Stimme ist zu derangiert zur Artikulation sinnvoller Sätze.

Das lag allerdings nicht am Lesen an sich, sondern eher an der Kommunikation mit dem Nachbarn, der kurz vor meinem doppelblickigen Kollaps quer über die Straße sang, wer denn so spät nach Mitternacht noch die Haustechnik mittels Romadur in ihrer Ausführung behindert. Ich brüllte zurück, dass das wohl nur eine deutsche Unsitte sein könne.

So wie sonntägliches Aufstehen um sieben Uhr, damit die Frühstückseier ihren Garpunkt pünktlich erreichen. Und um acht gibt es dann Filterkaffee.

Jetzt fällt mir auch ein, was ich beim heutigen Frühstück, was an Wochenendtagen gemeinhin gegen Mittag stattfindet, vergessen habe. Ein wachsweich gekochtes Ei im dafür vorgesehenen Becher. Stattdessen habe ich ein rohes Eigelb in das ebenfalls rohe Hackfleisch geworfen, mich damit wieder einem gewissen Salmonellenrisiko ausgesetzt und das Eiweiß weggeworfen.

Wenn das die Diätheinis wüssten! Nach deren Auffassung ist das ganze Gelbe vom Ei hochgradig gefährlich. Man brät nur das Eiweiß. In Mineralwasser selbstverständlich. Ich frage mich, welchen Nährwert dieses Gebräu haben soll. Keinen. Aber angeblich dient es der Kalorienreduktion.

Man könnte auch Wattebäuschchen mit Orangensaft tränken und herunterwürgen. Geschmacklich etwas intensiver. Obwohl das der pure Wahnsinn ist, denn gerade Orangensaft enthält wahnsinnig viele dieser kleinen, fiesen Tierchen, die nachts in den Kleiderschränken der Nation sitzen und die Klamotten des völlereiversessenen Bundesbürgers immer enger nähen.

Deshalb habe ich mich vom Kleiderschrank emanzipiert und lagere Großteile der Anziehsachen auf wilden Haufen – außerhalb von Leksvik. Wenn die Arbeitslosen hinter den Ikeaholztüren genug von ihrem Elend haben, wandern sie nach Irland aus und arbeiten im Callcenter.

So der Plan.

Der Gegenplan: Ich lese einfach mein Buch weiter.

Freudenfalten bei Geschlecht west

Nein, ich reihe keine unsinnigen Wortkombinationen aneinander. Ich habe nur wieder meine ganzen Lieblingswörter des Tages auf einmal verbraten.

Weil ich ungeduldig bin.

Meine angeborene Ungeduld versteckte ich heute hinter meinem Freitagsgesicht.

Als erstes warf ich die CDU-Postkarte weg. Dies geschah auf Betreiben meiner direkten Vorgesetzten, die diese Visage einfach nicht mehr sehen wollte. Und nachdem es nicht geholfen hat, dass sie mit der Tasse Kaffeeringe darauf applizierte, forderte sie mich auf, den schmallippigen Jüngling in der Rundablage zu versenken.

Es ging ganz schnell. Es tat kaum weh. Der Tag konnte kommen.

Wer nicht kam, war meine Kollegin. Es entwickelte sich eine Ahnung, dass es diesbezüglich einen kausalen Zusammenhang mit einem ernsten Gespräch, das sie mit unserem Chef hatte, gibt. Eigentlich wäre es ja meine Aufgabe gewesen, sie mitsamt ihren Qualifikationsmängeln in ihre Schranken zu verweisen, aber ich kam leider nie dazu. So lehnte ich mich zurück und lächelte. Oberflächlich, aber meine Mundwinkel zeigten tatsächlich nach oben.

Und mein Karma blieb sauber.

Wie die Sache ausgehen wird, steht in den Sternen. Aber da es bewölkt ist, ist mein Lesefluss in dieser Angelegenheit behindert.

Komischerweise sind die aktuellen klimatischen Außenbedingungen trotzdem recht gut. Zu gut. Vor allem für mein Ruhebedürfnis, das von den Menschen auf der Straße derzeit in enervierender Art unterminiert wird. Frei nach dem Motto Frühstücken Sie noch oder brunchen sie schon? kleben Menschenmassen auf dem Bürgersteig, den der Betreiber der ansässigen Restauration mit alten, bunt zusammengewürfelten Tischen vollgestellt hat.

Gut, dass ich nicht zur Straßenbahn in Richtung Ikea hetzen muss. Sonst würde ich mich schlussendlich wohl in irgendwelchen Antipastisinfonien wiederfinden – angerichtet auf einem schlicht-rustikalen, rot-weiß karierten Teller.

Aber ich will heute nicht ins schwedische Möbelhaus. Denn ich bin ganz zufrieden mit meinem Leben. Ich muss nichts kompensieren. Und Möbel brauche ich gerade nicht. Auch keine Servietten. Kerzen.

Denn zum einen habe ich heute meiner Lieblingsbeschäftigung gefrönt: Rechnungen schreiben und die Ablage in verschiedene Schreibtischschubladen umlagern, damit die Putzfrau am Montag putzen kann.

Das andere habe ich vergessen. Was kein Wunder ist, denn ich war in meiner kargen Freizeit damit beschäftigt, im Spiegel nachzuvollziehen, ob meine Kollegin Anne eventuell Recht haben könnte, weil sie meinte, dass man mir genau ansieht, was ich gerade mache und welchen Grad des Genusses mir das bereitet. Zum Beispiel wenn mir ein Pädagoge mitteilt, dass das Geschlecht des Kindes, das wir gerade bekommen haben, west ist. Das sieht man sofort. Weil ich Freudenfalten entwickle.

Also, der Spiegel kam gleich nach der Post, denn ich musste ein Paket abholen. Gleich bei Betreten hatte ich mein erstes Mal. Niemand vor mir. Am Freitag! Am Nachmittag! Kurz vor Feierabend! Die Postangestellten hatten das wohl auch noch nie erlebt, denn sie hielten eine Krisensitzung an den Paketregalen ab.

Aber ich habe es geschafft, man hat mich irgendwann wahrgenommen, und ich bin irgendwie nach Hause gelangt, wo mein Kind stolz verkündete, Pferdezüchter werden zu wollen. Er will die kleinste Pferderasse der Welt züchten. Peter Maffay soll darauf reiten. Als einziger auf dieser Erde. Ich glaube, das Kind hat zu viel Tabernakel geguckt.

Oder wie auch immer dieses Musical heißt, ich bin ja kein großer Musicalfan.

Ich bin im Moment nur Fan von Wochenende. Und vielleicht ein bisschen Prosecco.

Außerdem ist die Sommerpause vorbei. Jan-Josef Liefers hat es schon im Werbefernsehen verkündet – bald gibt es wieder Rocher. Ich habe gestern schon welche gekauft.

So viel zum Begriff bald. Die Werbung lügt! Zumindest gestaltet sie den Begriff recht dehnbar. Aber sowas macht sie ja immer.

Und frisch sind die einfach wesentlich besser, als es die Reste waren, die ich über den Sommer eingelagert hatte. Braun-gräuliche Klumpen mit weißem Überzug, mit denen ich lustige biologische Experimente machen wollte. Wenn ich sie nicht vorher aufgegessen hätte.

Da fällt mir ein, dass ich noch Kekse backen wollte. Die Frage ist: Ist null Uhr sechzehn die richtige Zeit für Kekse?

Die Antwortet lautet: Es ist immer die richtige Zeit für Kekse.

Und ich wundere mich: Alles auf der Welt geht natürlich zu. Nur mein Rock – der geht natürlich nicht zu.

Wenigstens beschränken sich also die Freudenfalten auf das Gesicht.

Wenn die keine Zivilisationslüge sind.

Ich habe keine gesehen. Aber das könnte am Licht liegen.

Man kann nicht wirklich poetisch sein mit einem Kuli von der CDU

Die Überschrift ist geklaut.

Man muss sowas ja immer gleich als Zitat kennzeichnen. Wie schnell holen einen sonst Plagiatsvorwürfe ein! Und ich verliere meinen Doktortitel. Gut, dass ich keinen habe. Und Funny van Dannen hat meines Erachtens auch keinen.

Aber das ist nunmal die Liedzeile, die mir immer als erstes einfällt, wenn die Uhren auf fünf vor Wahl stehen. Weil man dann an jeder Straßenecke – während man noch unter einem Piratenplakat steht und darüber sinniert, welche Botschaft denn nun in der Botschaft drin sein soll – von irgendwelchen, für die größeren Parteien tätigen Studenten mit Kugelschreibern und Gummitieren von der CDU (oder Schlimmeres) versorgt wird.

Gern auch mit Postkarten, die mit dem Konterfei eines Kandidaten verziert sind, der – freundlich in die Kamera lächelnd, als würde er im realen Leben einer Beschäftigung in der Zahnpastawerbungsbranche nachgehen – kaum verbergen kann, dass ihm noch die eine oder andere Eierschale hinter den Ohren klebt.

Früher nannte man sowas Wegelagerei. Aber Wegelagerer darf man ja nicht sagen. Oder es wird teuer. Könnte auch sein, dass das nur für Polizisten güldet.

Jedenfalls weiß ich sowieso schon, was ich wählen werde.

Nicht die Piraten. Von denen habe ich nur ein (in Worten: ein einziges) Plakat gesehen, dass ich irgendwie thematisch nachvollziehen konnte oder wollte. Aber ich habe vergessen, was da drauf stand.

Und auch nicht die CDU. Ich fühle mich Merkels Kabinett nämlich nicht sonderlich verbunden. Genauer gesagt gar nicht.

Auch wenn Angie gleich zwei Randgruppen repräsentiert. Sie ist eine Ostfrau.

Und weil ich eben nicht einmal tangierenderweise etwas in ihrem Geschwader zu suchen haben möchte, brauche ich mir auch keine Sorgen um meinen Doktortitel zu machen. Selbst wenn ich einen hätte.

Die CDU-Gummibärchen habe ich meiner Kollegin Anne geschenkt, weil die gerade dringend irgendwas mit Zucker brauchte.

Dann wurde sie krank.

Und ich hatte Zeit zu überlegen, was passieren würde, wenn einfach alle nicht wählen. Wird die Wahl dann immer wieder wiederholt? Werden wir in diesem Fall in einer Art Dauerwahlwerbephase leben, bis irgendein Mitleidsergebnis feststeht? Dann können auch gleich alle FDP wählen.

Also, alle außer mir.

Schwache Nerven – gutes Herz

Scheinbar erlebe ich gerade eine Phase geistiger Umnachtung.

Allein schon der Aufzug, in dem ich mich heute Morgen auf den, auch am dritten Tag noch, beschwerlichen Arbeitsweg machte. Totenkopfleggings zu türkisenen Ballerinas mit roter Tasche.

Wer trägt denn bitte eine rote Tasche zu türkisenen Ballerinas? Also, wer außer mir?

Gegen elf Uhr elf fragte Anne dann Äh… sag mal… is heut Fasching?
Ja, ich habe mich lediglich verlaufen. So wie der Nikolaus.

Offenbar irrt der auf der Suche nach dem richtigen Ausgang durch meine Wohnung, frisst meine Kekse und lässt Gläser, aus denen eindeutig Milch getrunken wurde, in der Spüle zurück. Ich dachte ja erst, das Kind wäre heimlich da gewesen, aber dagegen spricht, dass die Gläser immer fein säuberlich eingeweicht werden. Und das vergisst mein Kind.

Allerdings habe ich nur den einen Ausgang. Und den kann man sogar finden!

Jedenfalls habe ich schon mal meine Schuhe geputzt. Egal, was er da rein tut – Schokolade, andere Schuhe und sonstige Grundnahrungsmittel, meinetwegen auch Bares.

Denn wenn ich meine Betriebskostenabrechnung auch nur noch einmal lese, werde ich mich minderbemittelt fühlen. Im pekuniären Kontext.

Oder auch, wenn es um das Heranholen meines Notizbuches geht. Dreimal musste ich losgehen, um dreimal mit etwas völlig anderem zurückzukommen, das spricht auch sehr für eine bisher nie erahnte Minderbemittlung.

Aber immerhin habe ich jedes Mal etwas anderes Schönes mitgebracht, so dass ich nicht gänzlich leer gelaufen bin. Denn wer leer läuft, muss eine Kiste Bier springen lassen. Eine bekannte Regelung unter Baureptilien jeglicher Art. Da ich keine Lust habe, eine ganze Kiste Hopfengebräus zu tragen, und mich auch gar nicht so wirklich schmerzfrei dazu in der Lage sehe, trage ich lieber ein paar Waren des täglichen Bedarfs hin und her.

So richtig schwer getragen habe ich heute auch genug, denn der Kurier, der zwei Tonnen Papierkram im Büro abliefern wollte, hatte einen Hexenschuss. Weil ich eben so ein gutes Herz habe, half ich ihm und schulterte die zwei Kartons, während ich mich fragte, was ich denn nur mit der anderen Hand tragen sollte.

Bis zur Chefetage bin ich damit gekommen, aber die ist bei uns unten.

Widersinnig, aber ganz basisdemokratisch.

Dort wuchtete ich sie vor die Tür. Sollen sie doch sehen, was sie damit anstellen! Ich bin für diese Schwere der körperlichen Arbeit definitiv unterbezahlt.

Außerdem hatte ich keine Zeit, der neue Ikeakatalog ist da.

Das wusste ich zwar vorhin noch nicht, aber ich hatte so eine Ahnung.

Irgendein diffuses Gefühl beschlich mich. Begleitet von einem Fersengang, der seine Ursache in den viel zu flachen Ballerinas fand. Eigentlich wollte ich nur da raus.

Und ich wollte nach Hause, denn hier lebe ich schon. Auch wenn böse Zungen behaupten könnten, es würde etwas verwohnt aussehen. Ganz böse Zungen sagen, es sieht total verwohnt aus. Und die Böseste von allen sagt, es sieht im Grunde aus wie Sau.

Bei Hempels unterm Sofa herrscht Ordnung! keift sie.

Das ist meine Zunge.

Die hat definitiv kein gutes Herz.

Nur schwache Nerven.

Arbeitsflüsse führen kein Mineralwasser

Bei uns heißt das ja neuerdings Workflow. Der führt dazu, dass man per Datenbank ganz genau nachvollziehen kann, welche Kreise welcher Vorfall nach sich zieht.

Manchmal können auch alle Kollegen sehen, wer für 222 Euro mit dem Diensthandy telefonierte und nun 214 davon zurückzahlen muss, weil der Chef vergessen hat, die Zugriffsrechte zu beschränken. Es kann dann schon mal passieren, dass jemand nachfragt. Wo tut er das? Natürlich bei den netten Damen der Verwaltung. Eine davon bin – laut einem Gerücht mit unbekannter Quelle – ich, die ich ihm mitteilte, dass da eine genaue Absicht dahinter stecke. Zur Abschreckung.

Nachdem ich meinen Chef zum dritten Mal daran erinnert hatte, dies bitte einzuschränken, tat er es direkt in meiner Gegenwart. Er bedankte sich für den Hinweis und klang ein wenig kleinlaut. Ich, ganz Mutti, beruhigte ihn mit dem Argument, dass ich so viel mit alten Männern zu tun habe, so dass er sich dagegen noch recht harmlos ausnimmt, weil er ja noch nicht mal neunundfünfzig ist.

Geradeso aus dem Kindergarten raus… wollte ich noch sagen, hielt mich aber zurück. Wie gestern schon angekündigt, ist es manchmal besser, im entscheidenden Moment den Mund zu halten. Das war zwar nicht direkt einer, aber irgendwann muss ich ja mal damit anfangen, mich auch selbst daran zu halten.

Vielleicht würde ich dann den Absprung von den Bildern, die mich nachts zuweilen unterhalten, schaffen. Heute war ich verheiratet, was total realistisch ist.

Das Telefon meines Gatten klingelte, am anderen Ende war meine Exkollegin, die ich damals schon nicht leiden konnte.

Diese knochige Schlampe?!

Mit diesen Worten riss ich es ihm aus der Hand und legte auf. Er starrte das Gerät hingebungsvoll an. Und was bei Frauen, die auf den Anruf des güldenen Prinzen auf seinem weißen Reittier warten, niemals klappt, funktionierte hier. Es klingelte. Das Knochengerüst. Er flirtete und schwatzte, umgarnte und ließ umgarnen. Ich riss abermals das Telefon an mich und klebte es an mein rechtes Ohr. Sekundenkleber ist eine Universallösung für alle Lebenslagen. Sogar ohne Lösungsmittel. Am anderen Ende ertönte die rauchige Stimme einer professionellen Telefonsexarbeiterin.

Und es war nur Spaß. Geschmacklos zwar, aber lustig gemeint. Leider in der zweiten Sache erfolglos.

Was will mir dieser Traum nun sagen?

Wenn ich groß bin, heirate ich einen Idioten?

Meine ehemalige Kollegin hat die Branche gewechselt?

Am Telefon sieht sie ja keiner, da stören die hervorspringenden Knochen nicht so. Und vielleicht gibt es in besagter Branche auch Workflows.

Was weiß denn ich? Ich war nur froh, endlich wach zu sein.

Zeitweise, wenn ich den Tag rückblickend betrachte.

Als ich ins Fitnesscenter kam, gingen gerade zwei Menschen mit widerlichem Dialekt. Sie sagten Tschühüüüss, obwohl wir uns noch nie zuvor gesehen hatten. Ich rief Tschüssiiie zurück. Mit drei I und einem E. Und kam mir leicht grenzdebil vor. Das war Absicht. Aber ich war auch froh, dass die nicht Auf Wiedersehen gesagt haben, denn dann hätte ich lügen müssen, weil ich die ja gar nicht wiedersehen möchte, weil ich diesen Dialekt einfach nicht hören kann.

Nach dem Sport kaufte ich mir Pralinen und Salat, weil es keinen Zitronenjoghurt gab.

Es gab nur eine Frau, die, wegen Futters für ihre Hasen den ganzen Laden beschallend, mit dem typischen Meine-Eltern-waren-Geschwister-geh-aus-dem-Weg-das-ist-ansteckend-Gesichtsausdruck hinter mir her trippelte, um die Blätter von den Kohlrabis zu zupfen, während sie zeitgleich über den absoluten Tütenmangel klagte.

Wir leben in gar schrecklichen Zeiten.

Aber Hauptsache, alles fließt.

Und nun wieder alle Tage Alltag

So, das Erwachsenenleben gefällt mir nicht mehr. Kann ich jetzt bitte wieder zwölf sein?

Oder zumindest Urlaub haben. Und trotzdem ein dickes Konto. Das wäre schön.

Aber das einzige, was hier dick ist, ist meine Betriebskostenabrechnung. Die kommt immer so unerwartet. Und hieß es bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch immer Guthaben am Ende des Schreibens, steht da neuerdings immer Nachzahlung. An sich schon ein Anblick, der mich zu Tränen rührt, aber sie wird auch noch immer dicker.

Wie meine Füße, wenn es warm ist. Und mein Taillenumfang entwickelt sich leider auch nicht gerade konträr. Wenn ich mir die diesjährige Nachzahlung einfach vom Munde absparen würde, hätte ich das Problem vielleicht gelöst.

Es würde nur vier Monate dauern.

Aber ich habe Hunger.

Kein Wunder.

Bei diesen Anstrengungen.

Es ist ja so: solange man sich im konsequenten Freizeitmodus befindet, kann man sich gar nicht so richtig vorstellen, wieder morgens früh aufzustehen, ein schnelles Frühstück ohne Frühstückskrimi zu sich zu nehmen, zur Arbeit inmitten all der anderen Idioten zu hetzen und sich der Guten-Morgen-Montag-Laune der Kollegen auszusetzen. Ist der Urlaub dann abgehakt, und man hat nur einen einzigen Tag im Irrenhaus zugebracht, steckt man wieder mittendrin.

Ich gebe zu, meine Motivation blieb heute früh einfach auf der Couch sitzen und sehnte sich nach einem wachsweichen Eichen. Momentan könnte ich mich den ganzen Tag von Eiern ernähren. Und zwar in Ausmaßen, dass sämtliche männlichen Menschen um mich herum schon Schutzanzüge tragen.

Mit Suspensorien aus Panzerstahl.

Mit Sicherheitsschloss. Atomgesteuert!

Besser ist das. Aber seit heute sind sie wieder sicher. Sicherer. Ich habe eine großflächige Erklärung, dass ich ausschließlich von Hühnereiern besessen bin, herausgegeben und gehe zur Arbeit, auch wenn ich nicht will. Gemischte, durchweg dunkle Gefühle am Morgen waren das Resultat. Vor allem wegen meines letzten Arbeitstages vor gut zwei Wochen, als die Stimmung noch maximal als lauwarm zu bezeichnen war.

Man hat mir zwar keinen roten Teppich ausgerollt, aber auch die Schlösser nicht ausgetauscht. Von zehn Anwesenden freuten sich neun, mich an meinem vertrauten Platz zu sehen. Ich war der zehnte. Mein Computer freute sich so mittel, aber der war gar nicht erst einsatzbereit, weil Kollegin Anne ein Kabel entwendet hatte.

Dafür hatte ich zwei Locher. Und kein Heftgerät. Das wurde mir aber schon am frühen Nachmittag nach nur dreimaligem Suchaufruf von der Seite auf den Schreibtisch geschoben.

Die Tackerklammern klemmten.

Weil die Kollegin zu dämlich ist, das Ding richtig zu nachzufüllen.

Gegen elf kam der eine Chef, wir gratulierten uns gegenseitig. Ich ihm zum Eintritt in die Seniorenanwärterschaft, er mir zur Sommerbräune. Der andere Chef kam gegen eins, und ich sagte ihm dass es schön wäre, dass er wieder da ist. Irgendwas muss ich da verwechselt haben, aber vielleicht war das auch nur ein unbewusster Hinweis auf eine angebrachtere Begrüßung meiner Person.

Stattdessen kam er mit neuen Informationen. Weil eine unserer Abteilungen (und zwar nicht wir!) sich immer teuren Fairtradebiokaffee liefern lässt und Anne darüber schon seit Jahren recht echauffiert ist. Dieser Umstand rieselte tagesfrisch in die geschäftsführenden Ohren. Und damit sich alle gleich behandelt fühlen, müssen jetzt eben alle selbst bezahlen.

Mineralwasser gibt es auch nicht mehr.

Danke, Anne.

Manchmal ist es besser, einfach mal den Mund zu halten. Oder zumindest etwas leiser zu sprechen.

Es ist ein Ärger.

Heute ist übrigens Montag.

In Zukunft werden alle meine Kekse Haferflockenkekse sein

Dabei bin ich gar kein so großer Keksfan. Aber Haferflockenkekse mag ich. Sogar die gekauften.

Da mir aber die Industrie doch nicht ganz das bieten kann, was ich möchte, und ich auch nie weiß, was genau drin ist – Ist es richtige Butter oder doch nur irgendein minderwertiges teilweise gehärtetes Pflanzenmischfett? – und weil ich noch eine traurige halbe Tüte Haferflocken, die dann mal weg musste, rumstehen hatte, wollte ich am Freitag frisch zur Tat schreiten. Schließlich musste ich am Sonnabend zu einer Sitzung, und da verteile ich gern Selbstgebackenes.

Ich hirschte also vom Biertrinken mit Katja nach Hause.

Das Backpapier war alle.

Ich runter zum Spätverkauf.

Das Backpapier war alle.

Nun ist meine Spätverkäuferin aber ein netter Mensch, und wir kennen uns schon recht gut – wir gratulieren uns sogar gegenseitig zum Geburtstag, auch wenn sie gar nicht weiß, wann meiner ist. Deshalb rannte sie stehenden Fußes in ihren Backstagebereich und holte ihre private Rolle hervor.

Abend gerettet. Und die Kekse. Auch vor dem gefräßigen Kind.

Eine Handvoll gingen an die Papierspenderin, ein Eimerchen verputzte der Vorstand, das Eimerchen ging in leerer Form an einen einzelnen Herren, der darin zukünftig Beeren sammeln will, der Rest verblieb zu Hause und fiel der hungrigen Meute an meinem Couchtisch zum Opfer. Also Kind und ich.

Danach dachte ich, dass es Zeit ist für etwas Sport. Schließlich möchte ich die Kekse nicht direkt als Schutzschicht vor mir hertragen.

Als ich mich gerade auf den Weg machen und ganz unschuldig an der Tür vom Spätverkauf vorbei wollte, sprang sie raus. Der Kuchen war ja sehr lecker, und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und so weiter.

Sie winkte mit einer gekühlten Piccoloflasche Rotkäppchen trocken.

Ich guckte sie an wie ein Auto mit Zusatzscheinwerfern. Und leugnete meinen Geburtstag, der ja nun schon einige Tage zurückliegt. Weil jedes noch so kleine Geschenk, was man sich unter Spätverkäufern und Stammkunden so macht, immer einen Rattenschwanz weiterer Aufmerksamkeiten nach sich zieht.

Aber da auch ich nunmal einen habe, steckte ich die Flasche kurzerhand in meine Tasche. Man kann ja nie wissen, wann einen der Durst überkommt.

Auch wenn ich mehr Wasser trinken wollte. Oder in Meerwasser baden, aber diesbezüglich muss ich mich wohl noch eine Weile gedulden. Im schlimmsten Fall bis nächstes Jahr.

Das Warten würde schon irgendwie gehen, wenn ich nicht zwischendurch arbeiten müsste. Und darauf habe ich nun wirklich keine Lust. Zumal sich mein Urlaub gerade dem Ende neigt, was mir eine durchaus depressiv zu nennende Grundstimmung verpasst.

Aber bevor ich mich in den Jammermodus begebe, unterbinde ich das lieber, sonst komme ich da nicht mehr raus. Auch wenn das Niveau meines Elends derzeit als recht gering einzustufen ist. Denn das Wetter ist schön, ich habe zwei Arme und zwei Beine, noch drei Kekse und eine Arbeit, die es mir ermöglicht, den Monat zu überstehen, in meinem Kühlschrank steht ein geschenkter Sekt, und das Wetter ist auch schön. Aber das erwähnte ich schon.

Das kann man aber auch gar nicht oft genug betonen.

Stille Nacht

Heilige Nacht…

Na so heilig dann doch nicht. Gottseidank, denn noch ist gefälligst höchster Sommer.

Meine Nachbarin hatte Zettel an alle Hauszugänge geklebt, die davon zeugten, dass sie einen Geburtstag sowie deutliche orthographische Defizite hat. Die Qualität der angewandten Grammatik hielt sich ebenfalls in Grenzen.

Jedenfalls wollte sie feiern und warnte vor Lautstärke. Da ich ein prophylaktisch veranlagtes Wesen bin, legte ich zwei Ohropaxhälften auf mein Nachtschränkchen. Und was soll ich sagen? Es war viel ruhiger als sonst.

Wesentlich ruhiger.

So ruhig, dass ich mich schon hingerissen sah, an ihre Tür zu klopfen und sie zu fragen, ob sie wegen ihrer Rechtschreibung keine Freunde hat.

Vielleicht hat sie auch welche, und die konnten nur die Einladung nicht zuordnen. Wer weiß?

Aber ich verzichtete auf die geplante Nachfrage, denn ich nahm an, dass sie allein und weinend da sitzt und ihre alkoholischen Vorräte vernichtet.

Ich hingegen genoss die Stille. Und als einer meiner anderen Nachbarn die Lautstärke seines Fernsehgerätes bis zum Anschlag aufdrehte, träumte ich schon selig von Pflaumenjoghurt.

Flora oder Trampolin – das ist hier die Frage

Heute musste ich nach Eberswalde. Das heißt in dessen Nähe. Zu einer Sitzung. Mein Verein rief.

Mit einer mir bereits bekannten Zuglinie ab Gesundbrunnen. Ich habe schon vor meinem inneren Auge gesehen, wie ich darin einfach bis Stralsund sitzenbleibe.

Die Befürchtung traf nicht ein. Der Zug fuhr nach Schwedt.

Also nur wenig Gefahr. Obwohl es an der Oder ja auch sehr schön ist.
Sein kann.

Und wenn ich nicht den ganzen Tag in der Sonne gesessen hätte, wäre ich jetzt auch zu einem geeigneten Gedanken fähig. Aber so ist das einzige, das ich vom heutigen Tage noch im Gedächtnis behalten konnte, eine Diskussion zwischen Bernd und Viola, die ihre Tochter auf dem Zeltplatz im Nebendorf gelassen haben, weil diese dort eine Freundin gefunden hatte, mit der sie wiederum in ein Spiel verwickelt war, das die beiden nicht aufgeben wollten.

Och, wir hätten das Kind mal doch mitbringen sollen, gab Viola zu bedenken, wenn sie gewusst hätte, dass Flora da ist…
Ja, richtig,
sprach Bernd, da ist ja ein Trampolin.
Nein, ich meinte, wenn sie gewusst hätte, dass Flora hier…
Aber da steht auch ein Trampolin!
insistierte Bernd.

Er ist von meinen Qualitäten bezüglich des Umgangs mit seinem Sprössling einfach nicht zu überzeugen. Also, das Ganze zog sich noch ein bisschen. Und ich glaube auch, er hat es immer noch nicht anerkannt.

Aber ansonsten haben wir – neben der Diskussion, ob wir den Onkel aus Thüringen, der das Amt des ehemaligen Kassenprüfers bekleidet, nun auf den Grill legen oder nicht, denn man könnte dann schön das Fett, das von ihm heruntertropft, beim Braten über ihn gießen, aber so dick ist er gar nicht, denn er geht viel joggen – alles zu besprechen geschafft.

Ich muss dann demnächst wieder zum Notar, um unter dessen Aufsicht meinen Namen unter die Änderungen innerhalb des Vereinsvorstandes zu schreiben.

Nach Erteilung dieser Aufgabe suchte ich die Bushaltestelle, was der Onkel aus Thüringen so schade fand, dass er mich zum Bleiben bewegen wollte. Dieses versuchte er, mit einer frischen Bratwurst vom Grill in die Wege zu leiten.

Ich griff die Wurst und lief über die Wiese davon. Ein geschlagener Haken, sozusagen. Ein unerwarteter Fluchtweg könnte ja verhindern, dass mir jemand folgt. Aber weit gefehlt – ich bin ja auch kein Hase – und einer rannte mir doch hinterher, weil er während meiner Verabschiedungsrunde gerade auf der Toilette war. Ich fühlte mich irgendwie geehrt.

So, und jetzt sitze ich hier. Und anstatt mich mit meinen Sonnenstichsymptomen ins Bett zu legen, lasse ich mir von meinem Sohn vorführen, welche sexuelle Dreierkombination welcher Kekssorte entspricht. Oreo und Prinzenrolle… da kommt eine klassische Konstellation eben einfach nicht infrage.

Langsam fängt die Pubertät an, mir wieder Spaß zu machen.

Auch wenn ich sowieso schon kaffee- und sonnenbedingte Kombinationskopfschmerzen hatte. Und die Wäsche muss ich auch noch aufhängen.

Und mein Kleid ist immer noch nicht dabei. Dieser Gedanke wird mich wohl noch eine ganze Weile verfolgen.

In allen Lebenslagen.

Er springt auf dem Trampolin, das ich sonst meine Gehirnwindungen nenne.

Hoch und runter.

Kreuz und quer.