Wenn man davon leben könnte…

Hach, war das ein Montag. Wie er im Buche steht.

Alles fing damit an, dass es T-Shirts bei Aldi gab. Ja, ich weiß, andere Geschäfte haben sowas zuweilen auch im Sortiment, aber ich gehe ja in keine anderen Geschäfte mehr. Terminshopping finde ich zwar an und für sich sehr schön, aber solange die Verkäuferinnen noch viele andere Sozialkontakte außer mir haben, sehe ich die Notwendigkeit für mich gar nicht. Zumal ich ja, wie man weiß und wie ich oft mit Stolz betone, vom Dorf komme. Ergo: Wenn ich schon einen Termin vereinbart habe, denke ich, dass ich schief angesehen werde, wenn ich dann doch nichts kaufe. Und dass ich dann gleich im ganzen Dorf geächtet wäre.

Also, Aldi. Ich stürmte gleich früh um kurz nach acht aus dem Haus, weil die Aktionsflächen erfahrungsgemäß am Nachmittag schon wieder leer sein können.

Meine Erfahrungen decken sich mit den heutigen Beobachtungen. Denn genau an der Stelle, an der die T-Shirts lagen, stapelten sich auch kluge Hausfrauen, die die Auslagen durchwühlten. Schnell griff ich durch zwei von ihnen hindurch, raffte zweimal M und machte mich, mit einem Weißkohl sowie etwas Geflügelhackfleisch bewaffnet, von dannen. Nüsse waren auch reduziert, und schon hatte ich dreiundzwanzig Euro zusammen, um die ich mein Konto zu schmälern gedachte.

Meinen Nachbarn habe ich bei dieser Gelegenheit auch getroffen, also, den von direkt nebenan, und er fragte, ob er sich gegen eine monatliche Zahlung in mein WLAN einklinken dürfe.

Zu Hause angekommen, warf ich ein T-Shirt über meinen gestählten Luxuskörper. Das Material ist echt supertoll.

Nur leider sind die Dinger viel zu groß geschnitten. Wenn die nämlich jetzt schon an mir herunterhängen wie ein Sack, wird das nach zweimaligem Tragen nur noch schlimmer werden.

Diesen ersten Frustpunkt überwand ich im Grunde nur, weil Punkt neun Uhr das erste Telefon klingelte. Claudia. Die berichtete, was ich soeben selbst gesehen hatte, nämlich, dass unsere Personalsachbearbeitungsvertretung heute krank ist. Da ich mit einem Großteil meiner Gehirnzellen noch halb im Wochenende steckte, begriff ich erst den Ernst der Lage nicht. Sie sollte heute ihren Präsenztag machen, jetzt konnte sie wegen Krankheit nicht ins Büro und musste entsprechend vertreten werden.

Tja, schade, Claudia und ich hatten keine Zeit, denn uns bestand die erste Videokonferenz der Woche bevor. In dem Moment rief Anne mich auf dem Handy an, um mir mitzuteilen, dass sie jetzt anderthalb Stunden ins Büro fährt, um die Präsenz zu übernehmen. Unser Chef hat noch gesagt, dass es doch nicht so schlimm wäre, wenn das Büro mal einen Tag nicht besetzt ist.

Daran habe ich dann erkannt, dass ich Recht hatte. Als ich letzte Woche zu meinem Chef, der meinte, ich würde die Post doch einfach nur aufmachen, sagte, dass er ja gar keine Ahnung hat. Er hat wirklich keine. Er glaubt wirklich, dass wir die Briefe einfach nur aufmachen und in Fächer verteilen. Aber nein, wir machen die Briefe auf, ja, aber dann müssen die zugeordnet, gegebenenfalls gescannt und weitergeleitet, viele zuvor gestempelt und beschriftet werden, und das dauert dann ach insgesamt wirklich den ganzen Tag, weil bisher kein einziger Mensch auf Anhieb alles richtig machen konnte. Wir werden also dem Chef doch nochmal zeigen müssen, wie bei uns gearbeitet wird. Der Chefin auch, denn die macht sich da offensichtlich dieselbe Milchmädchenrechnung auf.

Na ja, dafür war dann unsere Videokonferenz rekordverdächtig. Rekordverdächtig kurz nämlich. Fünfzehn Minuten, und alles war gesagt. Wir verabschiedeten uns, und ich überlegte ernsthaft, diese gewonnene Zeit für das Aufsuchen eines weniger frequentierten Aldimarktes wegen des Erwerbs der Größe S zu nutzen. Es wurde jedoch erstmal nichts daraus, weil sich alle meine Telefone bis zum Mittag gegenseitig die Klinke in die Hand gaben.

Freundlicherweise erwog ich auch, mir die Telefonzentrale aufs Handy zu holen, solange Anne im Stau steckte. Dies scheiterte allerdings daran, dass ich mich nicht in die Anlage einloggen konnte, weil ich eine falsche Adresse in der Anleitung hatte. Und weil ich ums Verrecken nicht deswegen den Elektrolurch anrufen wollte, rief ich Claudia an, um mein diesbezügliches Leid zu klagen. Unter anderem auch, warum ich den Elektrolurch nicht anrufen will. Sie war entsetzt. Aber egal.

Der nächste Teilnehmer auf meiner Liste war erfreulicherweise Hannes. Er hatte mir eine Tabelle per Email geschickt. Im Betreff stand November, der Anhang hörte auf den Namen August, enthalten war der September und gebraucht hätte ich alles bis Dezember. Beziehungsweise ich gar nicht, sondern die Buchhaltung, aber das stört Hannes nicht so, der spricht halt am liebsten mit mir. Obwohl er heute festgestellt hat, dass er excelmäßig so tief in meiner Schuld steht, dass er sich eigentlich eine Woche unbezahlten Urlaub nehmen und zum Beispiel meine Wohnung renovieren müsste. (Aber ich habe gerade den Mörser ganz oben auf dem Küchenregal in der Hand gehabt – ich muss erst richtig, richtig saubermachen.)

Am Ende haben wir das Problem dann aber gelöst. Er hatte keine Ahnung, wie der Anhang, den er mir schickte, überhaupt an die Email rangekommen ist oder wo die restlichen zwei Mails, die er mir geschickt haben wollte, abgeblieben sind. Ein wesentlicher Bestandteil der Problemlösung war allerdings, dass ich mich in sein privates Emailfach einloggte und mir die Tabellen aus seiner Cloud einfach selbst zuschickte.

Dann nur noch alles zusammenführen und den Formelfehler, der wieder für Millionen Arbeitsstunden in den ersten beiden Quartalen sorgte, finden, und schon wäre ich fast im Feierabend gewesen, wenn Claudia mir nicht einen entscheidenden Hinweis gegeben hätte. Ein Hinweis, der das Leben meiner Kollegin Anne heute extrem erleichtert hätte. Aber Anne war schon auf dem Heimweg und verriet mir ihrerseits, dass diese Aufgabe gerade beim Chef liegt. Also rief ich den auch noch an, um ihm die Freude zu machen.

Niemand kann heute sagen, dass ich mich nicht bemüht habe.

In der Mittagspause allerdings auch. Denn da reiste ich tatsächlich zum übernächsten Aldi. Es gab keine S. Nur noch in Hellblau. Nicht meine Farbe. Wobei… in einer Tasche zusammen mit einem Dreihundertgrammpaket Blaubeeren hätte doch was Schönes daraus werden können. Denn die Blaubeeren habe ich gleich mitgenommen. Stellte die Verpackung ganz ordentlich auf den Boden meines Rucksacks und wollte nach Hause.

Wo ich auch schnell wieder gewesen wäre, wenn mich nicht an der Haltestelle meiner Straßenbahn der spontane Gedanke heimgesucht hätte, ob ich nicht doch nochmal zum ersten Aldi des Tages fahren sollte. Papier war ja auch alle, ich musste sowieso in die Richtung.

Eine Packung hatten sie noch da. Eine Packung supertolle, weiche Baumwolle in meiner Größe. Und Paprikaschoten. In der Zwischenzeit waren die Blaubeeren im Rucksack natürlich aufgegangen und hatten sich am Boden verteilt. Aber ich habe wieder was anzuziehen. Mit meinen neuen Rockmodellen brauche ich es obenrum halt etwas enger. Wenn ich am Donnerstag mein neuestes Werk im Büro präsentiere, zum Beispiel.

Weil ich nämlich großen Teilen des Umfelds versprochen hatte, noch am Wochenende den Coronarock zur Ansicht zu schicken, musste ich  gestern auch tatsächlich an die Nähmaschine. Habe mich im Nachgang, als ich den letzten Faden abschnitt, erst gewundert, dass ich wirklich fünf Stunden dafür gebraucht haben sollte, aber dann fiel mir ein: Wenn man allein beim Kellerfalten abstecken sieben Versuche braucht, bis es an beiden Seiten aufgeht, ist das wirklich nicht verwunderlich.

Unter normalen Umständen hätte ich natürlich nur zwei gebraucht. Aber vielleicht gilt das nur für karierte Stoffe. Und das Coronavirus ist ja nicht eckig.

Aber es wäre schön, wenn es sich vielleicht überlegen würde, mal in diese Richtung zu mutieren. Denn das würde sich bestimmt schlechter einatmen lassen. Also mutiert das Virus wohl nicht zum Würfel, denn das wäre ja kontraproduktiv.

Ich freu mich trotzdem über meine neueste Schandtat, und wenn ich damit zur Impfung gehe, muss ich auch nicht lange warten, dann winkt man mich direkt durch. Sagt Hannes.

Ich bin gespannt. In etwa so wie vorhin, als ich vor meiner SOKO lag und noch fleißig mitüberlegte, wer das Schwein denn nun getötet hat. Nur dass mein Spannungsbogen ein wenig durchbrochen wurde, als Anne ein Foto schickte. Von meinen T-Shirts. Die in der Größe M will sie jetzt nämlich haben, während sie mir noch eine Schachtel der Abmessung S gesichert hat.

Super, jetzt habe ich also doch vier. Und werde die anderen vier gleich wieder los. Ich liebe diese Tauschgeschäfte im Büro.

Wenn man davon leben könnte, würde ich nur noch das machen.

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