Einsame, unterzuckerte, gehirnamputierte Amöben

Eigentlich müsste die Überschrift ja Flora allein im Büro heißen, aber ich fand die Amöben spannender, auch wenn ich heute gar nichts mit Gehirnamputierten zu tun hatte, denn ich war völlig gesellschaftsfrei.

Nur auf meinem Bürohof stand ein Auto mit der Aufschrift Heizung im Arsch. De.

Sehr vertrauenserweckend, aber ich fand das besser, als ich Sanitärbetrieb Müller finden würde.

Und der einzige Mensch, den ich während meiner Arbeitszeit sah, war der Heizungswartungsmensch. Ich könnte ihn auch Klempner nennen, aber ich sage schon so oft Klempner.

Jedenfalls stand auf seinem Rücken das Gleiche wie auf dem Auto.

Ach, Sie sind das mit der Heizung im Arsch.

Ich glaube, dem Kollegen ist an der Stelle irgendwie ein bisschen warm geworden.

Das war es auch schon, nur fällt mir gerade auf, dass es doch einen Bezug zwischen dem Titel und meinem heutigen Tag gibt. Wäre ja auch traurig, wenn nicht.

In der halben Stunde, während ich am Rathaus war, da hatte ich mit Unterzuckerten zu tun. Gut, es war das Rathaus von Neukölln, und ich befand mich in einem Einkaufszentrum. Nun sind solche Ort ja nicht unbedingt als Sammelstelle der klügeren Zehntausend bekannt, das weiß ich, viel mehr sind sie ein Magnet für Jugend- und Rentnergruppen, die im engverschweißten Verbund nebeneinander her trotten. Die Tasse Sirup an den Beinen ist dabei schon fast obligatorisch. Anders kann ich es nicht erklären, dass diese Bevölkerungsteile es immer so schwer haben, voranzukommen.

Und ich habe auch keine Ahnung, warum ich es immer so eilig habe. Ach, ja, richtig: ich will nach Hause!

Zu schade, dass bei der Bahn mal wieder Ausnahmezustand angesagt war, weil sich die Temperaturen geändert hatten. Besonders schön fand ich die Daueransage Die nächste Bahn folgt in drei Minuten und ist leer.

Also erstens, liebe BVG: definiere drei Minuten.

Und zweitens: definiere leer.

Habe mich dann in die Bahn begeben, die als erste kam. Ich passte noch ganz komfortabel rein, es roch nur etwas komisch, aber ich wollte nach Hause. Hatte ich ja schon erwähnt.

Ganz dringend! Das hatte ich zwar noch nicht erwähnt, aber das erklärt sich in dem Umstand, dass ich aufräumen musste, denn morgen kommt Besuch.

Deshalb habe ich die Wohnung in den letzten Tagen total verkommen lassen, um jetzt so richtig Ordnung zu schaffen. Es ist mir fast gelungen. Schon erstaunlich, wie gut und schnell ich das kann, wenn sich jemand angekündigt hat, der mit mir Plätzchen backen will. Sogar die Arbeitsflächen in der Küche machen schon einen recht brauchbaren Eindruck.

Allerdings wäre es besser, wenn ich dann langsam mal schlafen gehen würde, Katja, die am Plätzchenbacken teilnimmt, steht früh auf. Und dann sitzt sie ab acht ungeduldig neben dem Telefon und wartet, bis die Uhr zehn schlägt und sie mich anrufen darf.

Morgen könnte sie das aus aktuellem Anlass auch schon um neun tun, aber das weiß sie nicht, und ich bin unsicher, ob ich ihr das sage.

Dieses Glück ist kaum zu fassen!

Gestern war ich ja ganz schön faul.

Na, eigentlich nicht, denn ich musste ja eine weitere Charge Weihnachtsmarmelade kochen. Meine Freunde hungern sonst. Außerdem brauchte das Kind eine Hose, ein Brett und ich eine Elchfußmatte. Die sprang mir so ins Auge.

Als ich am Nachmittag die Quittung einer solchen als pädagogisches Mittel eingebucht habe, dachte ich spontan Ich will auch einen Elch!

Und dann stand ich davor, und dann stand ich damit an der Kasse, wo ich – in Ermangelung eines anderen Zeitvertreibs, weil die Frau vor mir ihre Postleitzahl nicht wusste – vor lauter Langeweile noch nach den Eierwärmern im weihnachtlichen Dekor griff. Wie kann man seine eigene Postleitzahl nicht wissen? Jedenfalls zog sich das Ganze über Gebühr in die Länge, und ich hatte auch schon lustige Knobelspiele ins Visier genommen, während mein Sohn mit seinem Brett im Regen stand.

Dekorationspinguine gab es auch. Ich glaube so langsam, dass die Trulla mit ihren angeklebten Fingernägeln eine Strohfrau der Geschäftsführung war, die heimlich die Umsätze ankurbeln soll.

Das habe ich gar nicht nötig, dazu brauche ich keine Patienten vor mir, denn leider muss ich zugeben, dass ich, obwohl ich ein etwas angespanntes Verhältnis mit dem Weihnachtsmann habe, ganz schön im Weihnachtsvorbereitungsstress aufgehe.

Dieses konnte ich heute daran sehen, dass ich an dem angebotenen Weihnachtsbaumschmuck einfach nicht vorbeigehen konnte. An meinem weißen Plastebaum werden in diesem Jahr also zwei liebreizende kleine Gürkchen aus grünem Glas hängen.

Das begründet sich bestimmt darin, dass ich als Kind sehr oft in den Spreewald fahren musste.

Aber wenn man das alles mal außen vor lässt, ist es schon recht ärgerlich, dass diese Umsatzoptimierungsmaßnahmen alle auf Kosten unserer Zeit stattfinden, dabei sollte Sohnemann eigentlich sein Zimmer aufräumen.

Habe ihm dann zum Ausgleich geholfen.

Muss so gegen halb eins gewesen sein.

Schon beruhigend, Haushaltsarbeit zu erledigen, während neben einem die regelmäßigen Atemzüge eines Teenagers gehen, die nur ab und zu, im Fünfminutentakt, von einem unauffällig gemurmelten Mutti, mach das Licht aus! unterbrochen werden.

Deshalb war ich heute so schläfrig.

Gottseidank sind die Papierstapel (ein wagemutiger Euphemismus! Das Wort Haufen trifft als Bezeichnung für die entstandenen Gebilde viel eher zu) hoch genug, dass mein Kopf nicht allzu hart auf der Schreibtischplatte aufprallt, sollte er zu Boden sinken.

Ansonsten muss ich leider zugeben, dass ich mich derzeit als eine durchaus fröhliche Person einstufe. Und das liegt weder an dem für morgen frühzeitig angedachten Feierabend noch am Adventskalender, den ich heute früh als Gabe meiner Abteilungsleiterin auf meinem Arbeitsplatz fand, sondern an der Information der edlen Spenderin, dass unser Büro mal wieder komplett umgeräumt wird.

Und dann sitze ich wieder mit meiner Anne, die gerade unsere ganzen Vorräte ausgedienten Spielzeugs aufzukaufen gedenkt, was mein Kind freut, denn er will einen Laptop, in einem Büro.

Lange haben wir den gegenteiligen Zustand ja nicht ausgehalten.

Der Vorteil daran ist, dass sich unsere Privatbesprechungen wesentlich effizienter gestalten, weil ich dafür nicht extra aufstehen muss. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Außenstehender die Freude, die ich vorhin empfand, gar nicht nachvollziehen kann.

Und ich freue mich schon auf den Moment, in dem ich ihr das mitteilen kann.

Zu schön. Dass das Wünschen manchmal hilft, wussten wir ja schon, noch mächtiger allerdings ist das kollektive Wünschen.

Wir kriegen unseren Willen immer durch.

Keine Ahnung, wie wir das machen.

Aber Hauptsache, es funktioniert.

Und morgen ist auch schon Freitag.

Genau das habe ich mir gewünscht.

Heute ist auch nicht besser als gestern

Schon am frühen Morgen bemerkte ich eine Art übler Gelauntheit.

Der erste unzüchtige Gedanke riss mich aus meinem Loch. Er hatte mit einem Jüngelchen zu tun, der in der Bahn neben mir stand. Ein dünnes Bärtchen, Jeansleggings halb über dem Allerwertesten und dazu die unverzichtbare hässliche Brille, die eigentlich ein intelligentes Äußeres verleihen soll, aber null plus x ist eben höchstens x, und da hilft die falsche Sehhilfe mit den Fenstergläsern auch nicht, wenn man einen leicht dümmlichen Charakter ausstrahlt.

Im Gegenteil, ich finde sogar, es verhält sich umgekehrt proportional. Man könnte das jetzt ausdiskutieren, aber nicht heute, ich bin nicht in Stimmung.

Jedenfalls, mein erster (und letzter) Gedanke war: wie findet so jemand was zum Ficken?

Aber hier gilt wohl Gleich und gleich gesellt sich gern, schließlich gib es genug andere Jungs und Mädchen, die genauso aussehen.

Tja, und so entstehen Kinder.

Und die Kinder werden wie sie.

Oh, ich sehe gerade eine Zukunft mit Fensterglasbrillen vor mir.

Deshalb finde ich es eigentlich nicht besonders schlimm, ein wenig kurzsichtig zu sein. Reiner Selbstschutz.

Aber zurück zum Geschlechtsverkehr. Vielleicht haben die längst eine App entwickelt, mit der man potentielle Partner in seiner Nähe aufspüren und zwecks baldiger Begattung direkt ansprechen kann.

Ich meine, mal so etwas gehört zu haben.

Besser, ich höre jetzt auf.

Bevor ich mich in Bluetoothkontaktaufnahmen und Whatsappflirts vertiefe, die ganz am Ende durch mir nicht ersichtliche, mysteriöse Vorgänge im Kreißsaal und vor dem Traualtar – respektive Scheidungsrichter – enden, verliere.

Außerdem bin ich viel zu müde, weil meine Kollegin heute ihren Bildschirm mit einer Schriftgröße von 150 Prozent eingestellt hat, was dazu führte, dass sie ständig darauf hinwies, wie schön doch alles sei. Aber sie stellte es ganz schnell wieder zurück, nachdem sie mein Gesicht mit dem Was-hast-Du-genommen?!-Blick gesehen hat.

Das Gesicht ernsthaft so zu verziehen und zu halten, hat mich sehr angestrengt. Dazu kommen noch die Berichte meiner Freundin Rike über ihre sich gegenseitig an den Ohren leckenden Katzen, die mich sehr motivieren, die Wäsche aufzuhängen. Außerdem habe ich meine Geleejohannisbeeren in zwei Metern Luftlinie abgelegt, damit ich nicht die ganze Tüte auf einmal aufesse.

Und das daraus resultierende Gerenne hält ja keiner aus.

Grobmotorik vs. Schwerkraft

Eine gewinnt immer, manchmal auch beide. Das ist dann eine Art wochentagsabhängiges Phänomen, nennen wir es der Einfachheit halber Montag. Man könnte den auch umbenennen in Ich-bin-schon-beim-Frühstück-überfordert-Tag. Bereits beim Brötchen aufschneiden am Morgen harmonierten die beiden Kräfte nämlich auf besonders diabolische Art.

Das konnte ja nichts werden.

In der Straßenbahn begrüßte mich eine musikalische Untermalung jener Geräusche, die die Bahn erzeugt, wenn sie mit den Rädern über die Schienen schleift. Der Musikant sah sehr hingerissen aus. Er hörte auch gar nicht mehr auf und erfreute die Mitreisenden mit seinem mediterranen Charme.

Keine Ahnung, was er erreichen wollte. Der große musikalische Durchbruch kann es ja nicht gewesen sein, vielleicht wollte er auch nichts. Oder Mädchen.

Na gut, gegen glattrasierte Schmierlappen bin ich immun. Ein paar Borsten müssen schon sein.

Der Rest des Tages war wie aus einem Fünfjahresplan entnommen. Keine besonderen Vorkommnisse, also bis auf den normalen Wahnsinn.

Anne nimmt mir einen Garderobenständer in Form eines riesigen Buntstifts ab, aus dem mein Kind herausgewachsen ist. Kathrin ruft im Viertelstundentakt Rauchen ist toootal ungesund! durch das Büro, ich lächle dazu und freue mich für sie und uns, weil sie während ihrer Entwöhnungsphase überhaupt nicht frustriert zu sein scheint. Mein Chef und ich teilen uns meine Monatskarte, ich darf morgens und abends, er dazwischen.

Und die Buchhalterin erklärte, dass sie uns hilft, nicht wir ihr. Den Hinweis auf ihr fürstliches Salär habe ich mir gekniffen, aber nur weil ich nach Hause wollte – mit einem kleinen Umweg zum Erwerb eines weiteren Regalbodens.

Und Flüssigwaschpulver.

Und Geschenkpapier. Die 17 vorrätigen Rollen reichen niemals! Aber ich konnte nicht anders – es gab Eichhörnchenpapier. Das wird jetzt für den Rest meiner Tage im Schrank vor sich hin oxidieren, weil ich es zu schade zum Geschenkeverpacken finde.

Im Grunde ein ganz normaler Montag. Beim Brett nach Hause tragen habe ich auch wieder deutlich an Schwerkraft und Grobmotorik gelitten. Oder vielmehr meine personelle Umgebung. Zumindest an Position zwei.

Ach ja, Thema zwei, die Zeugen Jehovas standen auch vor meiner Tür, zu zweit natürlich, aber ich war trotzdem nicht da. Sie haben eine kleine Kerbe in den Türrahmen geschnitzt, den ich erst mit Pappmache ausgebessert, dann aber rot angestrichen habe, damit sie beim nächsten Versuch nicht so lange suchen müssen.

Eigentlich müsste man die Kollegen wirklich mal reinbitten, um ein wenig zu plauschen. Über Weltuntergangsphantasien, Weihnachten und andere Wahnvorstellungen.

Es wäre allerdings schön, wenn sie sich dazu mindestens drei Wochen im Vorfeld ankündigten. Ich würde einen hübschen Harzer Käse bei Zimmertemperatur einlagern und dann dezent unter ihren Sitzkissen arrangieren.

Oder eine professionelle Schimmelpilzkultur anlegen und nach zufälligem Prinzip in der Wohnung verteilen. Dazu kratze ich mich im Halbminutentakt am Kopf, erzähle von den Blutsaugern, die diese Wohnung beziehungsweise meinen Körper beherbergen und reiche ihnen Kekse.

Eine Kekszange habe ich nicht, nein, würde ich eventuelle pikierte Blicke nonchalant beantworten.

Eigentlich sollte man das immer so machen.

Das hilft bestimmt auch gegen die GEZ, das Finanzamt und andere Verbrecherbanden.

Grobmotorik darf ich hier ja nicht.

Allerhöchstens Schwerkraft.

Aber die nur unauffällig.

Und die Schwerkraft ist nicht unauffällig.

Das kann man an jedem FKK-Strand sehen.

Und es geschahen Zeichen und Wunder

Mein Telefon hat geklingelt.

Gut, das passiert. Heute riss es mich gegen kurz nach elf aus dem Tiefschlaf.

Ich saß gerade auf dem Dachboden meiner Eltern und sortierte Tapeten, weil ich ums Verrecken nicht in den übrigen Etagen anwesend sein wollte, denn dort werkelten der Vater meines Sohnes, also Ex eins, und Daniel, also Ex vier, zusammen an einer Lampe herum. Dazwischen klopfte es an die Tür, und ich entriegelte ganz neugierig alle siebzehn Schlösser (meine Mutter hatte schon als Kind Angst vor Fremden).

Ich habe keine Ahnung, warum Magnus, seines Zeichens Ex fünf, auf die Idee gekommen ist, dass die beiden anderen Exe unbedingt seine Hilfe zum Auswechseln einer Glühlampe brauchen sollten, aber was solls, ich ließ ihn also ein, und er fragte mich, ob es mir auf dem Dachboden nicht zu gruselig wäre.

Bis dahin fand ich eigentlich, dass es gar nicht so unheimlich ist, aber Magnus kennt ja meine Familie nicht. Außerdem hatte ich schon Schreckensvisionen, wer noch alles auftauchen könnte. Obwohl es ja eigentlich egal wäre, ob nun drei Exe an einer einfachen handwerklichen Tätigkeit arbeiten oder gleich alle sechs. Trotzdem – ich weiß jetzt nicht, was schauriger ist – alle meine Angehörigen in unschöner Zusammenrottung oder meine Ehemaligen auf einem Haufen an der Lichtversorgung.

Es klingelte, schon wieder, die Polizei. Die Dame wollte meine Wohnung inspizieren und fing in meinem Konferenzraum an, der ihr recht gut gefiel. Auch die übrigen zehn Zimmer fanden Zuspruch, nur der Kaninchenstall, den fand sie zu überfüllt. Aber da waren auch zwanzig Hundewelpen drin und eine Ratte, die nach meinem entsetzten Aufschrei über den Misthaufen floh.

Und an der Stelle klingelte dann also das Telefon.

Danke.

Es war Fine. Das mag für Außenstehende jetzt banal klingen oder sonstwas, ist es aber nicht. Fine hat sich so lange nicht gemeldet, dass wir schon die Suchtrupps eingeteilt hatten, die sich auf den Weg nach Pankow machen sollten, um ihr Überleben sicherzustellen.

Und als Belohnung für ihr Melden und das zweistündige Gespräch, aus dem hervorging, dass sie unbedingt Dackelkekse mit mir backen will, habe ich dann gleich ihr Weihnachtsgeschenk eingepackt. Ich bin dabei ganz schön ins Schwitzen gekommen, weil ich mir solche Mühe gegeben habe, damit sie nicht gleich von außen erkennt, was drin ist.

Komisch, vor kurzem hätte ich noch daran gezweifelt, dass sie mich überhaupt noch erkennen würde. Oder ich sie. Aber jetzt zum Jahresende scheinen sich die Dinge zu bessern. Ein Wunder zu Totensonntag sozusagen.

Mal sehen, wie lange dieser Zustand anhält.

Für den Rest meiner Tage weiß ich jetzt aber: es dauert circa eine Stunde, um eine große, runde Pappschachtel zu bauen. Die Investition von fünf Euro bei Nanu Nana ist definitiv eine überlegenswerte Alternative für die nächste derartige Gelegenheit.

Der Bart der Ziege

Heute habe ich Heidi im Strumpfhosenladen besucht. So bunte Beinkleider habe ich selten gesehen, aber heutzutage kriegt man ja alles. Auch Dinge, von denen man gar nicht wusste, dass man sie braucht.

Es gibt dort sogar Pullover zu kaufen.

Kuschelweich.

Toll, dachte ich und drehte ganz unschuldig das Preisschild um. 525 Euro. Oh.
Das ist Kaschmir, klärte Heidi mich auf, aber nicht normaler Kaschmir, sondern nur vom Bart der Ziege.

Die arme Ziege! Ich hätte ja ein schlechtes Gewissen der Ziege gegenüber, wenn ich so ein Teil erwerben würde. Von meinem Konto schweige ich jetzt mal. Aber was, wenn das Tier sich unsterblich in eines verliebt, das ausschließlich Geschlechtspartner mit Bartwuchs präferiert? Dann stünde die Luxuspulloverproduktion der Erfüllung sämtlicher romantischer Wünsche im Wege.

Unverantwortbar!

Im Moment halte ich es allerdings auch für leichtsinnig, Heidi auf die Menschheit loszulassen. Sie hat aufgehört zu rauchen und will, wie sie sagt, drei Kilo zunehmen. Nach einer Packung Marzipanmist konsumierte sie eine Schachtel Mininussecken und Gramm Stollenkonfekt.

Danach bestellte sie drei Pizzen. Rafael und ich haben ihr ein bisschen dabei geholfen und sie sehr viel beim Essen fotografiert.

Na gut, sie hat schließlich keinen Zeitraum für den geplanten Gewichtsaufbau genannt. Vielleicht meinte sie drei Kilo pro Tag.

Aber das ist schön, so hatte ich ein reines Gewissen und habe mich total toll gefühlt, weil ich nur mit wissendem Lächeln an ihren Pizzarändern nagte und den Rucola aß, um mich wie eine Ausgeburt an Fitness und Disziplin zu fühlen.

Auch und vor allem, weil mein Einkaufstrip so kurz und sparsam ausgefallen ist. Eigentlich wollte ich noch ein paar Geschenke anschaffen, aber es blieb letzten Endes bei einer Keksausstechform. Für mich, aber das war ja klar, die meisten Geschenke finde ich immer für mich. Mit der kann ich bei der diesjährigen Plätzchengroßproduktion anlässlich der Jahresendzeit Dackelkekse backen.

An der Stelle habe ich mich sogar noch besser gefühlt.

Bis dann Rafael meinte, uns in sein Kiez zu führen, wo wir zwecks Bierkonsums in die dunkelsten Spelunken geschleift wurden. Und das alles in einer Gegend, in der ich nicht tot über den Zaun hängen möchte und in der sich erstaunlich viele Zahnarztpraxen befinden, so viele, dass Rafael schon begonnen hat zu überlegen, ob das irgendein modernes Synonym für Puff ist.

Aber welche sexuellen Praktiken werden die da dann anbieten? fragte unsere beschwipste Heidi.

Ich wusste es nicht. Ich wollte es auch nicht wissen.

Ich wollte nur nach Hause, um endlich zu googeln, warum mein Wohngebiet heute von Polizisten überflutet war.

Aber das Einzige, was das Internet wusste, war, dass man einer stark alkoholisierten Mutter, die sie sich in Begleitung eines polizeibekannten Kreuzbergers und eines Hundes befand, ihr Kind abgenommen hatte.

Und ein Dieb hat eine Dame in ihrer Wohnung überfallen. Er entfernte sich mit der Beute und dem Brotmesser.

Da frage ich mich doch, ob das Messer unter die Hausratsversicherung fällt. Und wenn ja, in wessen? In die der Beraubten oder trägt das die des fleißigen und detailgetreuen Polizeiberichterstatters?

Es muss ja einen Grund geben, dass er so eindringlich darauf hinweist.

Obwohl… war vielleicht gerade langweilig auf der Wache.

Und möglicherweise ist das auch der Grund für den großen Bahnhof, den die Freunde und Helfer heute an meinem Bahnhof veranstaltet haben. Vielleicht war wieder nichts los, also zogen sie aus, eine Bratwurst zu essen. Ein Fest für den Piratengrill – dank GSG neun. Sie bilden eine Symbiose, der Cateringwagen kam nicht mehr durch die Absperrungen, so können die Einsatzkräfte nur wegen besagten Imbisses weiterleben und der nur wegen der einfallenden Horde.

Nur ich denke wieder an so aufrührerische Angelegenheiten wie Demonstrationen, bei der ich mir die Rebellion erlaube, nicht teilzunehmen.

Erst, wenn ich weiß, worum es geht. Um sowas wie die Zwangsrasur von Ziegen zum Beispiel.

Und natürlich auch um weniger Armut und mehr Umweltschutz, dünnere Diäten für die Politbrigaden und dickere Budgets für Bildung und Soziales und für die Kunst, für die Abschaffung von Hartz IV und gegen menschenverachtende Systeme, zwei Dinge, die sich prima ergänzen.

Es gibt so viele gute Gründe, auf die Straße zu gehen.

Haptische Balläste

Die Frage des Morgens lautete: warum gibt es Fahrpläne?

Wäre es nicht ressourcenschonender, einfach ein allgemeines Schild mit der Aufschrift Die Bahnen fahren aller fünf bis zwanzig Minuten – je nach Wetterlage. zu entwerfen und an den Haltestellen zu applizieren? Mit Wetterlage wären auch jedwede Eventualitäten abgedeckt.

Bei Doppelhaltestellen könnte man auch zusätzlich in aller Dezenz An dieser Station verkehren die Linien X und Y, die, mit der Sie gerade nicht fahren wollen, kommt zuerst. Selbiges gilt für die Gegenrichtung. erwähnen. Damit wäre alles gesagt, und niemand guckt mehr auf die Uhr.

Na gut, ich will nicht über Gebühr meckern, ist ja ohnehin jeden Tag das Gleiche, und zur Arbeit komme ich trotzdem.

Auf dem Weg dahin ereilte mich heute die Feststellung des Tages: Ich leide an einer ausgeprägten Sammelleidenschaft. Rossmannbeutel, Küchenschürzen, esoterische Fachliteratur, die mich zu Reichtum, Schönheit und Glück führen soll oder zu Feng Shui, Stilblüten, schöne Zeitungsausschnitte, wie Der Feldhase nicht nur zu Ostern interessant oder die Annonce der endgeilen Billig-Oma, die einen Mann für untenrum sucht. Insbesondere Gratiszeitungen sind ein niemals versiegender Quell der verqueren Gedanken diverser Redakteure, die dann über harmonische Ferien über Böhmens Atombunker ausschweifen.

Außerdem habe ich bereits ansehnliche Kollektionen von Klorollen sowie von Kronkorken, aus denen ich wahlweise Lampenschirme, Kühlschrankmagnete oder Blechschilder herstellen möchte, ferner stapele ich Umsonstpostkarten mit grenzwertigen Aufdrucken, während die zusammengetragenen originellen Krankmeldungen aus dem Kollegenkreis, wie wegen schrecklichen Siechtums und so weiter, noch in den Kinderschuhen steckt.

Aber weil diese Mitteilung im Genitiv geschah, war ich so begeistert, dass ein weiteres Archiv angelegt werden musste. Nicht nur wegen des richtigen Falles, sondern auch wegen der Krankmeldung an sich. Nicht alle wissen, dass sie das tun müssen. Viele bleiben einfach zu Hause, lassen den lieben Gott einen guten Mann sein und die Personalverwaltung ahnungslos.

Ich weiß wirklich nicht, was ich damit soll. Ich bin ja kein Messie. Das ist alles Ballast. Eigentlich sind es sogar mehrere, aber was ist die Mehrzahl von Ballast? Ich weiß, dass Balläste definitiv falsch ist, aber es hört sich so abgefahren an, dass ich es jetzt einfach verwende. Außerdem erinnert es an Paläste. Und wenn ich die Mittel hätte…

So aber bleibt mir nur, mich auf andere Anhäufungen zu konzentrieren, nicht haptische, wie zum Beispiel unnützes Wissen. Finde ich immer gut. Deshalb weiß ich auch, dass man Trüffel nicht im Kühlschrank lagern sollte.

Und zwar weil sie dort schwitzen.

Scheinen ein etwas gestörtes Temperaturempfinden zu haben, die Kollegen.

Und das weiß ich auch nur, weil ich im Internet nach einem Rezept für Grappatrüffel gesucht habe.

Denn ich habe nicht genug Rezepte herumzuliegen.

Das einzige, was ich wirklich nicht sammle, sind wohl Fahrpläne.

Ich brauche eine neue Packung Müllsäcke.

Zwei Tage war die Mutti krank…

… jetzt ist sie wieder im Büro. Man könnte sagen Gottseidank.

Ergebnis meiner Abwesenheit waren ein unbezwingbarer Berg an Kontoauszügen, ein von der Abteilungsleiterin höchst selbst an meinen Platz geschobener Luxusstuhl, während sie selbst sich wieder mit ihrer alten Gurke vergnügte, und hochtrabende Pläne in der Raumnutzungsänderung.

Anne und ich wollen wieder zusammensitzen. Um des lieben Friedens willen würden wir sogar die dauerabwesende, missmutige Kollegin aufnehmen, um dann gemeinsam ihren Launen zu trotzen. Entweder ist die dann besser drauf oder wir werden alle depressiv.

Aber das sehen wir im Januar, wenn sie wiederkommt. Oder im Februar, im März, im April… man weiß es einfach nicht. Man steckt ja nicht drin. Auf jeden Fall bekommt sie dann erstmal eine neue Aufgabe und wird ob dieser Veränderung gleich wieder krank.

Ich bin auch krank. Ich habe Rücken. Aber ich gehe damit zur Arbeit und schreibe die morgendliche Steifheit im Lendenbereich meinem Alter zu. Es ist nun mal so – ich krieche mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln auf die 40 zu. Und manchmal fühlt es sich eben an wie 100.

Kein Wunder, kaum bin ich wieder gesund, schon bin ich wieder im Stress. Und zwar total, nicht nur im Büro, auch so. Rein privat.

Erstens: ich muss lesen. Viola hat mir ein Buch zum Geburtstag geschenkt, und nur vier Monate danach kann ich sagen, dass es sich sehr schön liest, obwohl bis zur Seite 60 noch keine verstümmelte Leiche aufgetaucht ist. Zudem ist es auch äußerlich eine Zierde für jedes Bücherregal.

Zweitens: Daniel musste dringend mit mir über Neuigkeiten aus seinem sozioökonomischen Umfeld sprechen. Wer jetzt mit wem zusammen wohnt, und wie groß die beiden ungefähr sind, und wer vom wem einen Scheidenpilz bekam, welchen er mit nach Hause nahm, woraufhin derjenige leider von seiner Partnerin des Bettes und des Tisches, überhaupt der ganzen Wohnung verwiesen wurde.

Während die zweite Information mein erfülltes Fortbestehen auf diesem Planeten gewährleistet, konnte ich bei der ersten – zumindest zur Hälfte – mit genauen Zentimeterangaben präzisieren, was auf Daniels Seite zu der verwirrten Frage führte, wie gut ich denjenigen eigentlich kenne.

Hätte ich Zeit, Mittel und Gelegenheit gehabt, und wäre ich in der entsprechenden Stimmung gewesen, hätte ich erschöpfend darauf geantwortet, so blieb mir nur anzudeuten, dass wir einst mit einem Zollstock nachgemessen haben, dann aber bewies Daniel wieder einmal, dass er einfach die lautere Stimme hat, und berichtete munter weiter.

Diesmal über seine Erlebnisse, als er mal für zwei Tage in einer Waldorfschule tätig war, um dort zwei Treppenstufen zu erneuern.

Ordentlich, wie er beim Arbeiten nunmal ist, hat er besagte Treppe dazu beidseitig mit Flatterband und einem formschönen Pappschild mit eigentlich eindeutigen verbalen Anweisungen angebracht.

Aber ach, Waldorfschule… er hätte das Geschriebene besser tanzen sollen. Damit es auch das pädagogische Fachpersonal versteht.

Die Pause brach los, eine Horde Kinder brach aus, im Schlepptau eine Art Lehrerin, die er wohlmeinend als Trulla bezeichnete, die hinterherwuchtete, sich das Band besah, das Schild entzifferte, beides herunterriss und sprach:
Wir lassen uns doch hier nicht einschränken!

Die Kinderhorde trampelte hinüber, Daniel strich den frischen Estrich glatt.

Zehn bis zwanzig Minuten später, die Pause war wohl beendet, die Kinderhorde trampelte zurück, Trulla hinterher. Daniel strich den Estrich glatt.

Dieses Spiel fand seinen Höhepunkt in regelmäßiger Wiederholung, teilweise mit schwerem Gerät, das ebenfalls seine Spuren im frischen Beton hinterließ, bei gleichbleibender Ignoranz der zweiten Treppe, welche im Abstand von fünf Metern daneben in die selbe Etage führte.

Deshalb waren für die zwei kleinen Stufen zwei ganze Arbeitstage konzipiert worden!

Man hätte bis zu den Sommerferien warten sollen, warf ich in meinem jugendlichen Leichtsinn ein.
Nee, die Mittel mussten ja weg, klärte er mich auf.

Ja, ja, das mit den Mitteln ist immer ein schönes Argument. Ich freue mich, wenn welche vorhanden sind. Ich freue mich noch mehr, wenn mein Arbeitgeber das auch so sieht und Weihnachtsgelder in unerträumten Höhen auszahlt.

Am meisten würde ich mich aber freuen, wenn die vorhandenen pekuniären Ressourcen dazu genutzt würden, lesefähiges und kognitiv belastbares Lehrpersonal einzustellen, um der gemeinhin um sich greifenden Verdummung in diesem Lande beizukommen.

Dauerhappyaua

Es ist so schön, seit zwei Tagen liege ich im Bett und freu mich.

Mehr oder weniger.

Weil mir nämlich die am Sonntag benannten Gebrechen an der linken unteren Körperhälfte noch nicht ausreichend erschienen, habe ich mir zusätzlich einen netten kleinen Magen-Darm-Virus direkt aus Halle importieren lassen.

Eigentlich wollte mir der Buchhalter meines Vertrauens nur 50 Kalender bringen und die Kekse wegfuttern, die er dann unverdaut aber zerkrümelt auf meiner Couch hinterließ, aber er hatte auch noch weitere unterhaltungsträchtige Gaben bei sich, wie besagten Virus.

Musste feststellen, dass die Aubergine von Sonntag auf dem Hinweg wesentlich besser schmeckte als auf dem Rückweg.

Und deshalb durfte ich nicht in mein Büro, weil mein Kollegium die Seuche nicht haben wollte.

Gut, bin ich eben zu Hause geblieben, lag mit der Wärmflasche im Bett und zog mir The Ramones in die Ohren. Keine Ahnung, ob ein Übermaß an Punkmusik jetzt genesungsfördernd wirkt oder nicht.

Kommt immer darauf an, wie man Übermaß definiert.

Als Im Rahmen der Möglichkeiten zu bezeichnen war diese Dosis durchaus, und jetzt sitze ich zumindest aufrecht. Das tat ich zwar auch in der Gebetsstellung vor der großen Bodenvase in meiner hauseigenen Keramikabteilung, also ansatzweise zumindest, aber da hockte ich ja nur, um dieses kotterige Gefühl loszuwerden.

Hat fast funktioniert.

Ich will morgen wieder arbeiten. Ich muss.

Überlege aber, die Wärmflasche mitzunehmen und unter dem Pullover zu verstecken. Das sieht zwar ein bisschen nach anderen Umständen aus, ist aber ein tolles Gefühl. So ähnlich wie eine Dauer-Happy-Hour.

Könnte auch zur allgemeinen Verwirrung ganz unschuldig in die Runde gucken, wenn die Frage nach einer eventuellen plötzlichen Schwangerschaft auftauchen sollte.

Ja, hab ich Dir das denn nicht gesagt? würde ich mit weidwundem Rehblick fragen.

Und Anne, die ohnehin beim leichtesten Anflug irgendeiner Übelkeit zu Unterstellungen dieser Art tendiert, würde sagen Ich habs doch gewusst! Dir war im August ja auch schon mal so schlecht!

Ja, ja, so ist das in bundesdeutschen Büros.

Im Grunde also wie überall auf der Welt.

¿Dónde está el vino blanco caliente?

Ich habe keine Ahnung. Ich spreche kein Spanisch.

Umso frustrierender für mich, dass ich heute mit irgendeinem bescheuerten Klick die Ikeaseite dauerhaft auf Spanisch umgestellt habe. Ich wollte nur nach einem Kellerregal gucken. Und dabei habe ich weder herausgefunden, wo man es auf die Muttersprache zurückstellen kann, noch, ob es wenigstens in Spanien noch weißen Glögg zu kaufen gibt.

Kennt man in Spanien überhaupt Weißwein? Oder schmeißt man die Trauben grundsätzlich mit Schale in den Bottich? Wie gesagt, ich habe keine Ahnung.

Ich habe linksseitig eine schmerzende Hüfte, die ich mir bei irgendeiner Freizeitaktivität verrenkt haben muss. Das Knie leidet auch und der Fuß erst recht. Letzterer ist auch noch durch eine suppende Wunde geschädigt, die ich mir selbst mithilfe meines Zehennagels zugefügt habe.

Rechts ist mir nur ein Schreibtischfuß auf das Knie gefallen.

Ich gehe kaputt, aber sonst geht es. Nur hinke ich ein wenig.

Das alles ohne den weißen Glühwein. Dafür funktioniert die Heizung. Und ich trinke eh zu viel.

Leider ist es so, dass es in einer warmen Wohnung und nüchtern nur umso mehr ins Gewicht fällt, dass es nicht möglich ist, mal schnell was bei Ikea nachzuschlagen. Ich müsste erst ins Wörterbuch gucken, was Kellerregal heißt. Zumal ich mir ziemlich sicher bin, dass das gar nicht drinsteht.

So, ein Blick ins Wörterbuch hat gezeigt: ich hatte Recht.

So ein Mist. Mein Keller wird wohl leer bleiben.

Ich bin wirklich verzweifelt. Aus Frust habe ich mir schon den Elchteppich aus dem Kinderzimmer übergeworfen und mein Umfeld telefonisch mit dem Auftrag, mal bitte die Ikeaseite aufzurufen, heimgesucht.

Aber der Elchkopf rutscht mir immer vom Kopf.

Suboptimal.

Aber bei meinem Umfeld funktioniert die Seite auch nicht.

Was soll das denn für ein Sonntag werden, wenn Ikea kaputt ist?