Ich kündige

Ich habe keine Lust mehr.

Demnach war es vielleicht reine Psychosomatik, dass ich heute früh fast den Wecker nicht gehört habe.

Weil ich auf dem falschen Ohr lag. Denn gestern habe ich gebadet, nachdem ich einen Kugelschreiber benutzt hatte und überall blau beschmiert war. Und beim Untertauchen läuft immer mein rechtes Ohr voll Wasser, das da nie wieder raus geht. Und weil dieses Ohr heute oben lag, während sich das einzige hörende, das ich habe, inniglich ans Kissen schmiegte, bin ich eigentlich mehr von der Vibration wachgeworden als vom Ton.

Zu schade.

Ich hätte auch liegenbleiben können.

Aber ich weiß, ich bin nicht mehr jung, und ich brauche das Geld.

Zwar ist der Kontostand derzeit recht angenehm, aber Geld hat bei mir leider die blöde Angewohnheit, sich ziemlich schnell zu verflüchtigen. Vor allem, wenn ich weiß, dass mehr davon da ist, als ich vorher dachte.

Nicht gut. Gar nicht gut. Auch wenn ich mich noch irgendwie zurückgehalten habe. Obwohl ich, nachdem ich meinem Irrenhaus entkommen war, schon mal etwas fürs Osteressen eingekauft habe.

Zur Arbeit möchte ich heute mal nichts sagen.

Der Mittelfinger sitzt recht locker.

Sagen wir es mal so. Ansonsten weiß ich spätestens zum Feierabend wieder, dass ich Hobbys habe.

Heute habe ich zum Beispiel mein Kleid weiter verschlimmbessert. Ein paar Nähte wieder aufgetrennt. Einen Saum neu gemacht. Und Renate ein Foto vom Huckel geschickt. Den man auf dem Foto gar nicht sehen kann. Es ruschelt sich halt ein bisschen zusammen, wenn ich die Schulter nach hinten drücke. Was ich gemeinhin ja gar nicht so oft mache.

Sie hat aber mit ihrer Fachmeinung noch hinterm Berg gehalten. Kann sein, dass sie es erst in ein paar Tagen sieht.

Ja, meine Renate ist trotz WhatsApp eher von der entschleunigten Sorte.

Ist ja auch mal schön. Solche Leute erwarten wenigstens nicht, dass man den ganzen Tag erreichbar ist.

Andererseits versüßt mir so manche Nachricht am Tage die Tage. Heute hat sich zum Beispiel Claudia gelangweilt. Sie saß zu Hause und war krank, da konnten wir in aller Ruhe die Unbill unserer gemeinsamen Wirkungsstätte auswerten. Vor allem wegen der anstehenden Umstrukturierungen. Die Zwischenleitungen sollen weg. Zwei verschwinden im Nirwana, zwei teilen sich den Job, den sie sich jetzt auch schon teilen, und zwei werden aus der Zwischenleitungsebene wegbefördert.

Ich sage dazu mal nichts, ich bin einfach nur sehr gespannt.

Und pflege weiter meine Kündigungsphantasien.

Dennoch bin ich froh, dass meine liebe M aus Marzahn heute das Geburtstagsgeschenk für Ruslana nicht gesehen hat. Denn das ist mir ja, wie gestern bereits erwähnt, ganz gut gelungen. Ruslana denkt, ich wäre wahnsinnig, weil ich ihr sowas exklusives schenke, dabei beläuft sich der Materialwert vielleicht auf zwei Euro. Möglicherweise zwei fünfzig.

Das Wertvolle ist wohl eher das Designen und die Zeit fürs Handwerk daran an sich. Und wenn die M aus Marzahn das gesehen hätte, hätte sie mich wieder gefragt, warum ich überhaupt bei uns arbeite. Und dann hätte ich wieder gesagt, dass ich das auch jeden Tag überlege. Und wenn sich das herumspricht… muss ja nicht sein.

Oder doch? Vielleicht sollte man seinen Kündigungsgedanken mal etwas publiker machen. Damit was passiert.

Aber machen wir uns nichts vor: Da wird nichts passieren.

Warum auch? Läuft doch.

Etwas schleppend.

Mit zwei ungleich langen Beinen, aber es läuft.

Ja, ok, zuweilen werden Kolleginnen beobachtet, die höchst anmutig ihren Kopf auf den Tisch werfen, um gar hemmungslos zu weinen, aber es läuft.

Das Humankapital ist sowieso ersetzbar.

Ach, ich könnte schon wieder in die Deko brechen.

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